Recht auf Widerstand als Merkmal der Reformierten

Die Reformierte Kirche Oberwart

"Die Gemeinschaft stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Das Zusammenleben in Oberwart funktioniert sehr gut. Wir fühlen uns nicht als Minderheit", so Judith Beham. Sie gehört der ungarisch-reformierten Gemeinde, die etwa 1.400 Mitglieder hat, an.

"Adzon Isten" heißt auf Ungarisch "Grüß Gott!". Und so begrüßen einander auch viele Bewohner von Oberwart. Der Ort liegt im südlichen Burgenland und hat knapp 7.000 Einwohner. Felsöör steht unten auf der zweisprachigen Ortstafel. Oberwart zählt zu den größten ungarischen Sprachinseln im Burgenland.

Ungefähr 10.000 Menschen zählen sich zur Gruppe der burgenländischen Ungarn. Angesiedelt wurden sie hier bereits zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert. In Oberwart gibt es die einzige reformierte Gemeinde Ostösterreichs außerhalb von Wien.

Pfarrer Lászlo Guthy

Viele Gemeindemitglieder gehören der ungarischen Minderheit an. "Ich fühle mich als Mitglied der ungarischen und der reformierten Minderheit sehr wohl", sagt Pfarrer Lászlo Guthy mit einem Lächeln. Seit 1992 ist der gebürtige Ungar Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche in Oberwart.

Etwa 1.400 Gemeindemitglieder

Im Südburgenland leben Deutschsprachige, Ungarn, Kroaten und Roma friedlich nebeneinander. Der Grossteil der Bevölkerung ist katholisch. Dazwischen gibt es starke evangelisch-lutherische Enklaven. Und die große reformierte Gemeinde in Oberwart, der etwa 1.400 Menschen angehören.

Warum gibt es gerade hier eine so große reformierte Gemeinde? "Die Oberwarter 'Ureinwohner' waren ungarische Grenzwächter im Dienste des Königs", erklärt Pfarrer Lászlo Guthy. "Sie hatten die Rechte und Pflichten von Kleinadeligen, und durften deshalb an ihrer Konfession festhalten."

Recht auf Widerstand als Merkmal

Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts gibt es durchgehend eine reformierte Gemeinde in Oberwart. Bis 1921 gehörte das heutige Burgenland zu Ungarn. Und die Reformation war in Ungarn besonders erfolgreich.

"Das Recht auf Widerstand ist ein wichtiges Merkmal der Reformierten", erläutert Pfarrer Guthy und weist auf alle ungarischen Freiheitskämpfer hin, die reformierte Christen waren.

Älteste protestantische Kirche Österreichs

Im südburgenländischen Oberwart liegt die Reformierte Kirche in einem alten Teil der Stadt am südlichen Stadtrand. Sie gilt als die älteste protestantische Kirche Österreichs. Das weiße Gotteshaus mit dem Stern auf der Turmspitze wurde in den Jahren 1770 bis 1772 "von Protestanten für Protestanten" gebaut, erzählt Pfarrer Guthy stolz.

Wenn man die Kirche betritt, bemerkt man sofort die stattliche Orgel auf der Empore. Ein zweiter Blickfang ist die Kanzel, die von allen Plätzen gut einsehbar ist. Die Bänke sind blau gestrichen, viel Licht fällt durch die großen Fenster. Im Zentrum des Gottesdienstes steht das Wort: das Evangelium und die Predigt. Die Reformierte Kirche ist Teil eines Ensembles, zu dem auch das alte Pfarrhaus aus dem Jahr 1814 mit seinen schön restaurierten Arkaden gehört. Ebenso das neue Pfarrhaus mit Kanzlei und Pfarrerswohnung sowie eine moderne Aufbahrungshalle. Gegenüber vom alten Pfarrhaus liegt das Gemeindehaus mit dem Theatersaal, wo sich die Bibliothek befindet, und wo zahlreiche Aktivitäten stattfinden.

Zweisprachige Gottesdienste

Jeden Sonntag kommen 100 bis 150 Menschen zum Gottesdienst. Bei einem Begräbnis sind 500 bis 600 Gläubige keine Seltenheit. Zum Weihnachtsgottesdienst und anderen hohen Feiertagen kommen noch viel mehr.

Die Sonntagsgottesdienste werden abwechselnd auf Ungarisch und Deutsch sowie zweisprachig gefeiert.

Zwei Gemeindemitglieder erzählen

Isabella Tölly z. B. beherrscht wie viele der Gemeindemitglieder beides - und fühlt sich als "echte reformierte Christin in Oberwart". Besonders stolz ist sie darauf, dass auch ihre Kinder und Enkel aktive Gemeindemitglieder sind.

Elmar Baliko stammt aus einer der in Oberwart zahlreichen so genannten "Mischehen", denn sein Vater gehört der Reformierten Kirche an, seine Mutter ist katholisch. Der 21-jährige Student spielt im Reformierten Fußball-Club und geht gerne auf den Reformierten Ball. "Er ist nicht so groß wie der Feuerwehrball, aber sehr gemütlich", so der junge Mann.

Konfirmation als Teil der Identität

Im Leben eines reformierten Christen sind Taufe und Konfirmation wichtige Meilensteine. Die Vorbereitung auf die Konfirmation und auch der Gottesdienst selbst sind in der Oberwarter Gemeinde zweisprachig - und für die Jugendlichen wesentlicher Bestandteil ihrer Identität, erzählen die Schüler Barbara Szabo und Bernd Szambo.

In Gruppen bereiten sich die meist 13- bis 14-Jährigen im Konfirmations-Unterricht auf den "großen Tag" vor. Als Höhepunkt zählt dabei für die meisten die dreitägige Konfirmanten-Freizeit. In diesem Rahmen fahren die Jugendlichen oft ins Schloss Klaus nach Oberösterreich. Rätsel-Ralleys, singen und Bibelquiz stehen dort auf dem Programm. In anderen Jahren fahren die Konfirmanten in das große Diakonie-Zentrum nach Wayern in Kärnten.

Augsburger und Helvetisches Bekenntnis

Die reformierte Kirche geht auf Huldrych Zwingli in Zürich und Johannes Calvin in Genf zurück. Daher wird sie auch "Evangelische Kirche H.B." genannt. "HB" steht für "helvetisches Bekenntnis".

"Die wesentlichen Unterschiede zur Evangelischen Kirche A.B, dem Augsburger Bekenntnis, das auf Martin Luther zurückgeht, sind vor allem im Ablauf des Gottesdienstes und in der Auffassung des Abendmahls", erklärt Pfarrer Guthy.

Enge Zusammenarbeit

Noch zu Lebzeiten Luthers und Zwinglis versuchten die beiden eine Einigung. Doch der Zusammenschluss gelang nicht, vor allem weil in der Abendmahlsfrage keine Einigung erzielt werden konnte. Beide Kirchen bilden weder eine Bekenntnis-, noch eine Verwaltungsunion. Sie arbeiten aber in vielen Bereichen eng zusammen.

Und das schon lange vor der so genannten "Leuenberger Koncordie" aus dem Jahr 1973. Seit damals gibt es eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Und die Lehrunterschiede werden grundsätzlich nicht mehr als Kirchen trennend gewertet.

Gelebte Ökumene

"Katholiken, Lutheraner und Reformierte leben in Oberwart in einem sehr guten Geist der Ökumene miteinander", stellt Pfarrer Lászlo Guthy fest. "Ich bin dankbar dafür, dass es heute so ist. Denn wir leben gut miteinander, und manchmal sogar füreinander."

Hör-Tipps
Motive - aus dem evangelischen Leben, Sonntag, 22. Oktober 2006, 19:05 Uhr

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