Ein seltsamer Beruf
Der Psychotherapeut
Sie verbringen jeden Arbeitstag mit anderer Leute Probleme. Allerdings versuchen sie nicht, diese Probleme zu lösen, sondern bieten einen Raum, in dem der Patient lernen kann, besser mit sich selbst, seiner Umgebung und dem Leben umzugehen.
8. April 2017, 21:58
Derzeit gibt es 6.000 eingetragene Psychotherapeuten in Österreich, jährlich kommen etwa 150 dazu.
Süchte, Zwänge, Depressionen, Ängste und Psychose: Aber nicht nur Menschen mit schwerwiegenden psychischen Problemen kommen in die Praxis eines Psychotherapeuten, auch solche, die genügend Neugierde verspüren, sich selbst besser kennen zu lernen.
Die Beziehung zwischen Klient und Therapeut
Was aber, wenn der Klient seinen Therapeuten über längere Zeit beschimpft? Kann er ihn loswerden, oder muss er diese Aggressionen ertragen? Nachdem Neugierde auf andere Menschen zu den Grundvoraussetzung gehört um Therapeut zu werden, werden Aggression und Leiden nicht als abgeladener Müll empfunden, sondern als faszinierendes Rätsel, dass ergründet werden darf.
Die Beziehung zwischen Klient und Psychotherapeut ist eine ganz eigene. Meist sind die Einblicke ins Leben und in die Phantasiewelt tiefer, als jene, die Ehepartner oder die beste Freundin bekommen. Die Beziehung ist intim, intensiv und doch ein Arbeitsverhältnis.
Warum wählen Menschen diesen Beruf?
Die Sage vom Kentaur Chiron, der sein Leben lang an einer Wunde litt, vermag einen Hinweis auf die Antwort zu geben: Im Bemühen seine Wunde zu heilen häufte der Pferdemensch aus der griechischen Sage so viel Wissen über Heilmethoden an, dass er zum Heilkräutergelehrten wurde.
Seinen eigenen Körper allerdings konnte er nie ganz gesund bekommen. Allerdings hätte er ohne die schwärende Wunde seine Berufung möglicherweise nie entdeckt. Psychotherapeuten, heißt es, seien Verwundete, die gelernt haben, mit ihrem Schmerz umzugehen. Aus dieser Erfahrung und dem daraus gewonnenen Wissen können sie anderen behilflich sein.
Mit durchschnittlich 38 Jahren beginnt man mit der Psychotherapieausbildung. Eigentlich nicht "man", sondern Frau, denn 80 Prozent der Ausbildungskandidaten sind weiblich. Warum dem so ist, ist nicht erforscht. Vermutet wird, dass der helfende Aspekt und die wenig rosigen Berufsaussichten Männer weniger in diese Sparte drängen lassen.
Psychotherapie und die Liebe
Aus einer amerikanischen Studie geht hervor, dass 75 Prozent der Psychotherapeuten "gelegentlich psychotherapeutisch" in privaten Situationen handeln. 40 Prozent gehen auch "therapeutisch" oder "analytisch" mit ihren Familienmitgliedern um.
Ist es nun von Vorteil, wenn einer der Partner Therapeut ist? Sie selbst behaupten oftmals: Ja. Die Partner sehen das eher gegenteilig. Denn die Anwendung der Deutungsmacht kann im Privatleben fatale Auswirkungen haben. "Ich bin nicht dein Patient! Lass mich also bitte mit deinem Psychozeug in Ruhe", kann schon mal die Antwort auf professionelles Verhalten im Privaten sein.
Erfolgskontrolle
Wie kann der Erfolg einer Psychotherapie gemessen werden? Ausschließlich an der Gesundheit beziehungsweise an der Verfassung des Patienten, sagen sie einen. Daran, wie stark frequentiert die Praxis ist, behaupten die anderen.
Effizienzkontrollen gibt es heutzutage viele. Die meisten schließen mehrere Wirkfaktoren in ihre Berechnungen ein: Aussagen des Patienten, der Angehörigen und des Therapeuten. Diese Meinungen klaffen oftmals auseinander. Treffend ist der alte Psychotherapeutenwitz, in dem sich zwei Therapeuten unterhalten: "Mein Patient ist geheilt!". "Wirklich? Er ist also nicht mehr Bettnässer? "Doch, aber macht es ihm nichts mehr aus."
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 16. Oktober, bis Donnerstag, 19. Oktober 2006, 9:30 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.