Kernkraft versus erneuerbarer Energie
Renaissance der Atomkraft?
Die Preise von Erdöl steigen, die Versorgung mit Erdgas ist unsicher und das Klima erwärmt sich durch Kohlendioxid. Die EU denkt eine kohlenstoffarme Energie-Zukunft an und meint damit weniger die erneuerbaren Energien denn die Kernenergie.
8. April 2017, 21:58
Welche Richtung die europäische Energiepolitik einschlagen soll, das hat die EU im Grünbuch "Energie" tendenziell festgelegt. "Kohlenstoff-arm" soll die Energieversorgung werden, also weitgehend frei von fossilen Energieträgern wie Benzin oder Heizöl. Erneuerbare Energien wie Wasser- und Windkraft oder Solarenergie sind als Alternative aber nicht allein gemeint.
Die Wiederbelebung der Kernenergie
"Kohlenstoff-arm" ist auch die Nuklearenergie. Im Gleichklang mit dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso preist der Generaldirektor der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der EU, Roland Schenkel, die Nuklearenergie als grüne Energie-Option an. Sie sei ein wichtiger Teil im Energiemix, um das Kyoto-Ziel, die drastische Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes, zu erreichen.
Spätestens seit dem Erdgas-Versorgungsengpass im letzten Jahr stehen die Ampeln für neue Atomkraftwerke, nach einer langen Phase der Stagnation in Europa, wieder auf Grün. In der Schweiz wird der Ausbau der Atomkraft ebenso diskutiert wie in Frankreich, Holland oder der Slowakei.
Reaktor-Laufzeiten werden verlängert
Europaweit spielt die Nuklearenergie je nach Land höchst unterschiedliche Rollen. Während Italien und Österreich auf die Kernkraft verzichtet haben, deckt Frankreich 77 Prozent seines Elektrizitätsbedarfs mit Atomstrom, Litauen gar 80 Prozent. Die Slowakei, Belgien und Schweden liegen mit 50 bis 60 Prozent etwas dahinter.
Jüngst hat auch ein Ereignis aus den USA der Kernkraft-Euphorie einen deutlichen Auftrieb gegeben. Dort wurde die Laufzeit - und damit quasi die Betriebsgenehmigung von 76 Reaktoren der zweiten Generation - um jeweils 20 Jahre verlängert. Roland Schenkel erwartet solche Laufzeit-Verlängerungen auch für europäische Kernkraftwerke. Nach sehr defensiven Schätzungen über die Lebensdauer der Generation-II-Reaktoren wisse man jetzt über Alterungsprozesse viel besser Bescheid und könne die Anlagen sehr kostengünstig aufrüsten.
Atomare Zukunft - Generation III
2009 geht in Finnland der erste europäische Reaktor der Generation III in Betrieb - der europäische Druckwasser-Reaktor, kurz EPR. Im Grunde ist dies nur ein verbesserter Generation-II-Reaktor.
Der EPR besitzt eine doppelwandige Hülle aus jeweils 1,3 Meter dickem Beton, die dem Absturz einer Passagiermaschine standhalten soll. Die Kühlung übernehmen vier voneinander unabhängige Systeme. Und wenn der Reaktorkern schmilzt - der GAU, dann soll eine Wanne aus sechs Meter dickem Beton die Kernschmelze auffangen.
Nicht unumstritten
Manche zweifeln daran, ob Reaktor-Generation III überhaupt gebaut werden soll. Viele halten das Projekt für ein rein industriepolitisches, um die Atomkraft präsent zu erhalten. Einen Qualitätssprung in der Kerntechnik würde erst Generation IV liefern - dieser Reaktortyp wird aber nicht vor 2040 verfügbar sein.
Erst Generation IV soll sicherer sein
Heute bleiben 99 Prozent des spaltbaren Uran235 in Brennstäben ungenutzt. Generation IV wird die Ausbeute erhöhen, dazu allerdings Plutonium brauchen und weniger Atommüll produzieren.
So soll dieser Reaktortyp seinen strahlenden Abfall soweit rezyklieren, dass der Atommüll nur mehr 4.000 Jahre gefährlich ist für die Umwelt - statt 100.000, wie bei Reaktoren der Generation II üblich. Damit würden auch die Ansprüche an Endlagerstätten sinken.
Auf jeden Fall wird der Hochtemperaturreaktor der Generation IV sicherer gegenüber "Proliferation" sein, das heißt dem Entwenden von radioaktivem Material etwa zur Herstellung von Atom-Bomben. In Generation IV kommen spaltbare Produkte nur mehr in einem bunten Elemente-Gemisch vor, und der Reaktor bereitet seinen Brennstoff teilweise selber auf.
Ist Atomstrom wirklich billiger?
Eines der wesentlichsten Argumente für den Atomstrom ist angeblich sein Preis. Die Zahlen dazu sind aber höchst widersprüchlich. Manche Statistiken behaupten sogar, inklusive Stilllegungs- und Rückbaukosten sowie der Endlagerung sei Atomstrom dreimal teurer als Strom aus Gas- und Dampfkraftwerken.
Ein weiterer Kritikpunkt: Betriebswirtschaftlich würden sich AKWs nur mit Hilfe öffentlicher Subventionen rechnen.
Tatsache ist, dass die Atomkraft eine sehr zentralistische Energieform ist. Rund 60 Prozent der Kosten sind Finanzierungskosten.
Im Aufwind
Weltweit ist die Atomindustrie nach einer Phase der Stagnation längst wieder im Aufwind: Dreiunddreißig Kernkraftwerke sind in Bau, siebenundzwanzig in Planung, vor allem in den USA, China, Russland und allein acht Stück in Indien.
Die EU hat im 7. Forschungsrahmenprogramm für die Jahre 2007 bis 2013 übrigens knapp eine Milliarde Euro für Kernforschung, Strahlenschutz, Sicherheits- und Materialforschung vorgesehen.
Mehr zum Energiewettbewerb in Österreich in Ö1 Inforadio und zur Sicherheit der Energieversorung in oe1.ORF.at
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