Der Großmeister des Wortgebrauchs

Büchner-Preisträger Oskar Pastior gestorben

Der Schriftsteller und Georg-Büchner- Preisträger Oskar Pastior ist gestorben. Der 78-jährige Pastior hat als "lingualer Neutöner" und "Großmeister des Wortgebrauchs" dem Lautgedicht eine neue Beliebtheit im deutschen Sprachraum verschafft.

Zwei "Lautmalereien" von Oskar Pastior

Der Schriftsteller und Georg-Büchner-Preisträger Oskar Pastior ist tot. Der 78-jährige Pastior starb in der Nacht zum Donnerstag in Frankfurt. Er war als "Poet der Moderne" einer der renommiertesten Lyriker der Gegenwart. Gleichzeitig galt er als singuläre Erscheinung unter den deutschsprachigen Schriftstellern.

Der eigenwillige Autor, der auch als Petrarca-Übersetzer Anerkennung fand, war vor allem für seine vom Dadaismus geprägte experimentelle Lyrik und Prosa, seine "Lautmalereien", bekannt. Der "Großmeister des Wortgebrauchs" und "linguale Neutöner" mit Kultstatus in der Lyrikszene hat dem beinahe musikalischen Lautgedicht eine neue Beliebtheit im deutschen Sprachraum verschafft.

Ein Avantgardist auf dem Feld der Sprachexperimente

Mit seiner ungewöhnlichen Wortakrobatik suchte der 78-jährige Sprachklangvirtuose die Einengungen der deutschen Sprache immer neu zu überwinden. Manche sagten dem "Wortschatzmagier" sogar eine "erotische Zuneigung" zur Sprache nach. Auf jeden Fall war er ein lustvoller Avantgardist auf dem Feld der Sprachexperimente mit einer großen Sensibilität für Laute und ihre geheimen Eigenschaften.

Er selbst fühlte sich dem "sprachmagischen Ansatz" Georg Büchners verpflichtet. "Was Poesie ist, weiß ich nicht", sagte er zu seinem Verhältnis zur Sprache, deren Zwischentöne und Vernetzung ihn zu immer neuen subversiven Sprachkompositionen reizen. Besonders gern spielte er mit Anagrammen (Wortumbildungen) und Palindromen, also Wortfolgen, die vor- wie rückwärts gelesen Sinn ergeben, wie zum Beispiel Sarg oder Reittier. Auch Redewendungen stülpte er fantasie- und lustvoll und mit Augenzwinkern um. Damit huldigte er der alten Weisheit, Dichtung müsse auch nützlich und unterhaltsam sein, aber auch eine spannende "Unterhaltung des Wissens".

Hohe Auszeichnungen

Die frühere deutsche Kulturstaatsministerin Christina Weiss lobte bei der Verleihung des Erich-Fried-Preises 2002 an Pastior gar, er habe "die deutsche Sprache neu entdeckt". Er sei auch einer der jüngsten Dichter in Deutschland, wenn man bedenke, "dass er quellengleich Sprache immer wieder neu erfindet".

Bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises vergangenen Mai würdigte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Pastior als "methodischen Magier der Sprache". Er habe ein Werk "von größter Radikalität und Formenvielfalt" geschaffen. Weiter hieß es: "Pastior erzeugt aus Buchstaben und Lauten, anmutig und witzig, immer neue poetische Welten." Pastior sagte über sich und seine oft verschlungenen Sprachwege: "Ich bin, was ich schreibe".

Wichtige Werke

Pastior wurde am 20. Oktober 1927 als Angehöriger der deutschen Minderheit im rumänischen Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren, wo er inzwischen zum Ehrendoktor ernannt wurde. Seit 1969 lebte er in Berlin, wo er gemeinsam mit der ebenfalls aus Rumänien stammenden Schriftstellerin Herta Müller an einem autobiografischen Roman schrieb.

Sein erster in Deutschland erschienener Gedichtband war 1969 "Vom Sichersten ins Tausendste", in dem es heißt: "Ich sitze stumm und kraule/Das Kleinhirn zwecks Belebung/Die Sprache zwecks Bestrebung/Und die bewegt sich doch..." Zu seinen Werken gehören ferner die Bände "Ein Tangopoem und andere Texte", "Anagrammgedichte", "Kopfnuß Januskopf. Gedichte in Palindromen" und "Das Hören des Genitivs". In der Edition Akzente des Hanser Verlags (München) ist eine Werkausgabe erschienen.

Flucht nach Deutschland

Als Gymnasiast wurde Pastior 1945 für fünf Jahre in sowjetische Arbeitslager deportiert. Nach seiner Entlassung und einem Germanistikstudium arbeitete er in den 60er Jahren beim deutschsprachigen Rundfunk in Bukarest und wurde mit den beiden Lyrikbänden in deutscher Sprache "Offene Worte" (1964) und "Gedichte" (1966) bekannt.

Er nutzte 1968 einen Studienaufenthalt in Wien zur Flucht und zog 1969 nach Berlin. Nach ersten Auszeichnungen in Rumänien erhielt er auch in Deutschland zahlreiche Preise, darunter den Andreas-Gryphius-Förderpreis, den Horst-Bienek-Preis für Lyrik, den Preis für Europäische Poesie, den Walter-Hasenclever-Literaturpreis und den Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik.

Trauer auf der Buchmesse

Pastior wollte auf der Buchmesse zusammen mit der ebenfalls aus Rumänien stammenden Schriftstellerin Herta Müller Texte über die Deportation von Rumäniendeutschen in die Ukraine vortragen. Der autobiografische Text über diese Zeit wäre sein letztes Prosabuch geworden, teilte der Hanser Verlag mit. Die Nachricht über seinen plötzlichen Tod löste auf der Frankfurter Buchmesse sowie bei Künstlern und Politikern am Donnerstag Trauer und Bestürzung aus.

Der Verleger des Carl Hanser Verlags, Michael Krüger, nannte Pastior einen "der letzten großen Schamanen" der experimentellen Literatur. Es sei Pastiors sehnlichster Wunsch gewesen, seine über 30 Werkbände in einer Gesamtausgabe zu präsentieren. Der rumänische Dichter Mircea Dinescu hatte immer die Hoffnung, dass Pastior nach Rumänien zurückkehrt, wo die deutsche Kultur sich verflüchtigt habe.

Mehr zu den Reaktion auf Oskar Pastiors Tod in Ö1 Inforadio und zur Frankfurter Buchmesse in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Das Kulturjorunal sendet am Donnerstag, 5. Oktober 2006 ab 16:30 Uhr einen Nachruf auf Oskar Pastior.