Die erhabenen Weisheiten des Wahlkampfs
Zeichen und Wunder geschehen
Wahlkämpfer lassen uns nicht nur an ihrer umfassenden Weisheit selbstlos teilhaben. Sie geben uns, den Unbedarften, auch kleine Rätsel auf - wie es große Lehrer zu allen Zeiten taten. Ist also die Tautologie die höchste Form der Philosophie?
8. April 2017, 21:58
Wahlkampf ist. Eine für Kulturmenschen und Ästheten ja sehr erfreuliche Zeit. Das ganze Stadtbild ist mit Plakaten verschönt, die das Grau der missratenen Architektur verbergen, und die schon in ihrer puren visuellen Gestaltung das Auge erfreuen. In Print und Funk treten in grandioser Fülle bestens gepflegte und tadellos gekämmte Wahlkämpfer auf und schenken uns ihre Worte, die den Geist inspirieren und die Gedanken fliegen lassen.
So ist es auch richtig, dass Wahlkämpfern in ihrer selbstlosen Plakatierungsfreude erlaubt ist, was jedem sonst, jeder Person, jeder Institution und jedem Unternehmen selbstverständlich verboten sein muss: Ständer um Ständer aufzustellen und noch das letzte Eck mit ihren wahrlich kreativen Bildnissen zu schmücken. Das widerspricht zwar dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung, doch große Kunst braucht eben Ausnahmen, um zu gedeihen. Das wusste man in allen Jahrhunderten.
Ärgerlich genug, dass ein bürokratisch verkrustetes wie banausenhaftes Landgericht (nomen est omen!) die Nutzung des edlen Begriffs "freiheitlich" durch gleich zwei wahlkämpfende Gruppierungen verboten hat. Ergab sich durch diese vieldeutige Doppelnutzung doch ein dialektisches Rätsel, das uns Staunen machte und Anstoß zu manch tiefer Meditation gab.
Und wie diese Wahlkämpfer erst zu sprechen vermögen! In geschliffener Rede erfreuen sie uns mit ihren ebenso tief schürfenden wie weit greifenden Gedanken zum Sinn des Lebens und der Politik, und das in verschwenderischem Überfluss. Quantität und Qualität finden sich hier endlich und nahtlos vereint - ein für unerreichbar gehaltener Gipfelsieg des diskursiven Intellekts.
Da spricht uns der eine unermüdlich von vielfachen Wegen, von richtigen Wegen und falschen Wegen. Doch will er uns damit bloß die in der Kindheit versäumte abenteuerreiche Pfadfinderei nachholen lassen? Nein, weit mehr und raffinierter! In seiner volkstümlichen Rede lässt er uns an den Heilslehren des Buddah teilhaben, an den Wegen des Zen und den ewigen Pfaden des Tao.
So ist auch das gütige, immer gelassene Lächeln der Wahlkämpfer, das nur Verstockte fälschlich als Grinsen bezeichnen, vielmehr als glücklicher Ausdruck jener inneren Vollendung zu sehen, die eben nur den Weisesten der Weisen zuteil wird.
Da werden sprachschöpferische Meisterwerke aus dem Ärmel geschüttelt, dass uns der Mund offen bleibt. Nur ein Beispiel: die kreative Umwertung der verbrauchten grammatischen Konstruktionen von Komperativ und Superlativ: gut - besser - am besten. Wie banal! Wie könnte eine inspirierte Sprachfindung poetischer ihren Ausdruck finden, als in der unnachahmlichen Formulierung, dass besser bleibe, was Österreich ist.
Wir dachten oft: Die Tautologie ist die höchste Form der Philosophie. Doch haben wir ein wesentliches, ja, das entscheidende Moment übersehen: Der Wahlkampf ist die höchste Form der Tautologie! Daraus ergibt sich nach den Gesetzen der Logik, klarer als jede Gebirgsquelle, dass Wahlkampf die allerhöchste Form der Philosophie ist. So sagt uns auch die reine Vernunft zuletzt, was die Erfahrung ohnehin längst wusste.
Und nicht nur philosophisch, auch mathematisch sind die Wahlkämpfer so souverän wie innovativ. Da werden uns die Segnungen des Einsparens der Abfangjäger versprochen, und das eingesparte Geld wird gleich hundertfach wieder ins staunende Volk gestreut. Eine monetäre Glanzleistung ohnegleichen! Und zugleich der tiefsinnige Beweis, dass schnöde Arithmetik doch nicht alles gewesen sein kann.
Dort wird uns die im Geiste der Menschenliebe längst überfällige Repatriierung von 300.000 Ausländern verheißen, unbeschadet der Frage, wo diese her zu nehmen sind, und mit welchen Verkehrsmitteln die humanitäre Glanzleistung denn zu vollbringen wären.
Merke: Die Wahlkämpfer lassen uns nicht nur an ihrer umfassenden Einsicht selbstlos teilhaben. Sie geben uns, den Unbedarften, auch kleine, unseren Fähigkeiten angepasste Rätsel auf - wie es große Lehrer zu allen Zeiten taten, um ihre Jünger zu schulen.
Und wenn hier schon von Geld die Rede war: Naturgemäß kann all dieser Segen nicht gratis sein. Doch auch im vergifteten Machtbereich des gierigen Mammons tragen die unerschrockenen Wahlkämpfer ihren Sieg davon: Durch ihre kreativ-steuerschonende Ausgestaltung von Beiträgen, Spenden und Überweisungen sorgen sie dafür, dass all ihre Weisheit absolut wohlfeil an uns, das Wahlvolk, gelangt. Und so - nicht zuletzt - geben uns diese Edlen auch einen Vorgeschmack auf kommende Steuerreformen, durch die das dann von reiner Fairness regierte Land sich in ein steuerfreies Paradies verwandeln wird - das es für Wahlkämpfer eben schon ist.
Freilich gibt es auch Wahlkämpfer, die keine Steuerreform versprechen, zumal nicht für Milliardenerben, Privatstiftungsbesitzer und multinationale Konzerne. Wohl getan! Ist dies doch ein wackerer Beitrag zur ewigen, gottgleichen Gerechtigkeit, auf die all unser vergebliches Sehnen sich seit jeher richtet. Und auch die so lukrierten Beträge werden durch den bloßen Willen des Allmächtigen, Verzeihung... des Wahlversprechens viel hundertfach vermehrt und uns in Form etwa von Bildungsausgaben, nach denen wir dürsten, wieder zurückgegeben.
So möge, wer Augen hat zu sehen, auch erkennen: Gerecht ist nicht gerecht, und Ungerecht ist nicht ungerecht. René Magritte mit seiner Pfeife hat uns nur die halbe Wahrheit gesagt.
Viele Wunder ließen sich noch bestaunen und preisen. Doch wie sollte ein kleiner Glossenschreiber mit seinen unzulänglichen Worten jene kristallenen Wahrheiten des Wahlkampfs auch nur erahnen? Das ist nicht möglich. So überlasse ich Sie, meine verehrten Leser, dem weiteren Wahlkampf mit dem aufrichtigen Wunsche, dass ein wenig von jener erhabenen Weisheit auch Ihnen zuteil werden und Sie erleuchten möge.
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