Indien - Teil 1
Die neue Mittelschicht
Der wirtschaftliche Aufschwung hat in Indien eine neue Mittelklasse entstehen lassen. Viele Inder suchen ihr Glück nicht mehr in anderen Erdteilen. Doch während Wohlstand und Chancen der einen wachsen, steigt die Armut der anderen.
8. April 2017, 21:58
"Indien ist cool, Indien ist hip. Warum richten wir unseren Blick immer nur auf den Westen, wenn die Welt ihren Blick auf Indien richtet". Tapan Raj von der Band Midival Punditz drückt das neue Lebensgefühl urbaner indischer Mittel- und Oberschichten aus. Früher, sagt er, hätten viele junge Leute den Westen nachgeahmt. Sie wollten wie die Amerikaner sein oder wie die Briten. "Indien war nicht besonders entwickelt. Und die jungen Leute dachten, was aus dem Westen kommt, ist besser als das, was aus Indien kommt. Nun hat es einen Paradigmenwechsel gegeben. Die Leute denken, Indien ist cool."
Tapan Rajs Musikerkollege Gaurav Raina verweist auf die vielen Artikel, die heute aus Indien exportiert werden - von Musik und Kunst über Spiritualität bis hin zu modernster Technologie. Dieser Export "hat innerhalb Indiens ein neues Vertrauen geschaffen, das den Indern ein neues Gefühl des Stolzes vermittelt."
Das neue Indien
Der elektronische Sound der Midival Punditz kommt besonders gut bei jenen an, die dank der 1991 eingeleiteten Liberalisierung der Wirtschaft und dem seither beachtlichen ökonomischen Wachstum zu Wohlstand gekommen sind. Das neue Indien, von dem sie sprechen, findet man vor allem in den großen Städten wie Delhi, Bombay, Kalkutta oder Bangalore mit ihren Club- und Tanzszenen, ihren glitzernden Shopping Malls und teuren Wohnvierteln.
Dieses neue Indien basiert auf einem Paradigmenwechsel, sagt der Autor Pankaj Mishra, von dem mit "Unterwegs zum Buddha" und "Benares oder Eine Erziehung des Herzens" auch Werke in deutscher Übersetzung vorliegen. Indien hat sich seiner Ansicht nach von den Ideen seiner Gründungsväter verabschiedet. Sozialismus, Gleichheit und Gerechtigkeit seien immer weniger ein Thema. "In den Städten wird neuer Reichtum geschaffen; immer mehr Leute, heißt es, werden reich werden, und die Zahl der Mittelklassen wird wachsen. Das ist die neue Idee von Indien."
Ohne Slumbewohner kein Luxus
"World Class City" ist das neue Buzzword. Was optisch stört, soll eliminiert werden, erklärt Christiane Brosius, wissenschaftliche Mitarbeiter am Südasieninstitut der Universität Heidelberg, die ein immer brutaleres Vorgehen gegen Slumbewohner feststellt. Dabei sind diese Menschen essenziell für das Überleben der Großstadt, "sie sind es, die die Luxusenklaven und die Shopping-Malls bauen, und die dafür sorgen, dass die Stadt geölt ist."
Zuzug aus den Dörfern
Der Ursprung der städtischen Probleme liegt für den Architekten und Städteplaner Charles Correa am Land, wo bis heute an die 70 Prozent der Inder leben. Die Armen, die am Dorf nicht ihr Auslangen finden können, werden weiter in die urbanen Räume ziehen, denn das ist oft ihre einzige Hoffnung.
"Man muss die Motive dieser Menschen verstehen", sagt Charles Correa. "Sie wollen ein besseres Leben für ihre Kinder. Im Dorf werden sie ausgebeutet, geschlagen und sogar getötet. Aber sie bringen die Kraft auf zu sagen: Es reicht, wir fangen von vorne an."
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Hör-Tipps
Radiokolleg, Montag, 18. September 2006, bis Donnerstag, 21. September 2006, 9:05 Uhr
Tonspuren, Freitag, 22. September 2006, 22:15 Uhr
Radiokolleg, Montag, 2. Oktober 2006, bis Donnerstag, 5. Oktober 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag nach der Ausstrahlung, die Sendung "Tonspuren" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipps
Ravi Ahuja, Christiane Brosius (Hg.), "Mumbai - Delhi - Kolkata. Annäherungen an die Megastädte Indiens", Draupadi-Verlag, ISBN 3937603077
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Kiran Nagarkar, "Ravan und Eddie", List Verlag, ISBN 3548606814
Henning Stegmüller, Dilip Chitre, Namdeo Dhasal, "Bombay, Mumbai. Bilder einer Megastadt", Gedichte aus dem Englischen übersetzt von Marathi und Lothar Lutze, A 1 Verlagsgesellschaft, ISBN 3927743267