"In meiner Musik habe ich alles ausgesprochen"
Dmitrij Schostakowitsch zum 100. Geburtstag
"In meiner Musik habe ich alles ausgesprochen", bekannte Dmitrij Schostakowitsch. Er war ein ganz großer Komponist, der mit den Klassikern aller Epochen in einem Atemzug genannt werden darf. Am 25. September feiert man seinen 100. Geburtstag.
8. April 2017, 21:58
Rudolf Barschai über Schostakowitschs "tragisches Werk"
Er spielte mit Freunden gerne Haydn- und Brucknersymphonien. Er schätzte Reichtum und Besonderheit russisch-orthodoxer Kirchenmusik und lernte am spätmittelalterlichen Komponisten Josquin des Prés, was es heißt, einen individuellen Stil zu entfalten. Er besuchte gerne die Spiele seines Lieblingsfußballklubs Zenit Leningrad. Und er war vor allem liebender Ehemann und sorgender Vater. Da fühlte er sich in besonderer Weise dem Leben und der Bewahrung dieses Lebens verpflichtet.
Dmitrij Dmitrijewitsch Schostakowitsch ist ein ganz großer Komponist, der mit den Klassikern aller Epochen in einem Atemzug genannt werden darf und daher das Anrecht hat, als mehr verstanden zu werden denn als Künstler, dessen Sein und Schaffen scheinbar in erster Linie von den politischen Gegebenheiten seiner russischen Heimat abhängig ist.
Mehr agiert als reagiert
Nimmt man nur alles in allem, so hat er stets mehr agiert als reagiert, ist seinen Weg mit Unbedingtheit gegangen. Dies wird evident beim Anhören seiner Musik und es wird klar, dass dieser Weg einer auf einsamer Höhe gewesen ist.
Er gehörte keiner Mode oder aktuellen stilistischen Richtung an, berief sich lieber auf Haydn, Beethoven und Mahler als auf Schönberg, wusste Wagner und Alban Berg wertzuschätzen. So wurde er richtungsweisend, ohne dass es möglich ist, ihn nachzuahmen. Das prädestinierte ihn zum Lehrer und Förderer, auf den sich eine ganze Generation komponierender Menschen nicht nur in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion berufen darf.
Geistige Nähe zu Bach
Täglich spielte er Bach, und zum Gedenken an den 200. Todestag des großen Thomaskantors komponierte er 1950 24 Präludien und Fugen, somit die Nähe zu Bachs "Wohltemperiertem Klavier" suchend. Man hat ihm diese geistige Nähe zu Bach, zu Händel, zu Haydn vorgeworfen.
Die Kritiker aus den Reihen der sozialistischen Realisten haben da schon richtig gehört - sie waren nicht alle ungebildete Ignoranten, sie wollten nur eben das nicht, was Schostakowitsch wollte. Braucht denn der "neue Mensch" wirklich die Errungenschaften der Klassiker aller Epochen? Dmitrij Dmitrijewitsch zeigte, wie sehr diese Errungenschaften von Nutzen sind, um eigene Wege zu gehen.
Großes Vorbild Haydn
Schostakowitsch stellte sich nach eigenen Worten mit seinen Streichquartetten dem großen Vorbild des Erzvaters dieser Gattung, Joseph Haydn, und vielleicht liegt darin eine größere Provokation als in der Entwicklung eines vermeintlich neuen Stiles samt zugehöriger Theorie.
Hier wird nämlich etwas Wesentliches impliziert: Wissen. Schostakowitsch war ein Wissender und auch ein Gebildeter im Sinne humanistischen Anspruches. Er kannte die russische Literatur, Gogol konnte er in großen Zügen auswendig zitieren. Zu Recht verlangte er daher auch von seinen Studierenden gute Kenntnisse. Es ärgerte ihn, wenn jemand, der sich mit Musik intensiv zu beschäftigen die Absicht hat, nie eine Wagner'sche oder Bruckner'sche Partitur intensiv durchgesehen hat. Im Wissen, in der Bildung an den Meistern sah er ein Mittel der Immunisierung gegen plumpe Schlagwörter und Verallgemeinerungen.
Ein Mahner
"In meiner Musik habe ich alles ausgesprochen" - so bekennt er. Dieses "alles" ist alles das, was den Menschen angeht, sein Leben, sein Sterben. Schostakowitsch, der Künstler, der Mensch ist hier in seiner wiewohl skeptischen Liebe zu den Menschen daher demnach auch kein Ankläger, sondern ein Mahner.
Mehr dazu in Ö1 Inforadio und ORF.at
Hör-Tipps
Musikgalerie, 25. September 2006, 10:06 Uhr
Apropos Klassik, Samstag, 30. September 2006, 15:06 Uhr
Sendungen zu Dmitrij Schostakowitsch finden Sie, wenn Sie in der Programmsuche das Stichwort "Schostakowitsch" eingeben. Eine Liste der Sendungen der nächsten 30 Tage erhalten Sie in Ö1 Programm.
TV-Tipp
"Nahaufnahme Schostakowitsch", Sonntag, 1. Oktober 2006, 10:00 Uhr, ORF2
Mehr dazu in tv.ORF.at
Links
Wikipedia - Dmitrij Schostakowitsch
Wikipedia - Rudolf Barschai
Schostakowitsch Gesellschaft