Erste Versuche

Politik des Open Source

Das aus der Software-Entwicklung stammende Prinzip Open Source, die Öffnung von abgeschotteten Systemen, beginnt immer mehr Bereiche der Gesellschaft zu erfassen. Nur die Politik zeigt sich widerstandsfähig gegen Ideen und Impulse von außen.

Die Politik und insbesondere das traditionelle Parteiensystem zeigen sich widerstandsfähig gegen Ideen, Impulsen und Partizipation von außen und seitens einfacher Bürger - ein Paradoxon, ist es doch das erklärte Ziel der Demokratie, den Bürgern ein Mitbestimmungsrecht zu geben.

Wikipedia-Gründer geht in die Politik

Die USA stehen wie Österreich kurz vor wichtigen, landesweiten Wahlen. Aus diesem Anlass sind in den letzten Wochen und Monaten mehrere Wegbereiter der "Open Source"-Revolution im Internet mit Überlegungen und Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten, wie das "Open Source"-Prinzip auch in der Politik zur Anwendung kommen könnte.

Am 4. Juli, dem symbolgeladenen amerikanischen Unabhängigkeitstag, veröffentlichte Wikipedia-Gründer Jimmy Wales einen "offenen Brief an die politische Blogosphäre". Darin verkündete er der erstaunten Öffentlichkeit, dass er sich nun auch auf das glatte Eis des politischen Aktivismus vorwagen möchte. Und zwar mit einer Art Wahlkampf-Wiki genannt "Wikia" - einem nach dem Wikipedia-Prinzip funktionierenden Tool für politisch Interessierte und politische Aktivisten.

Die Öffnung des politischen Systems

Bereits vor Jimmy Wales hat auch Mitch Kapor seine Ideen zur Öffnung des politischen Systems veröffentlicht. Kapor ist nicht nur einer der bekanntesten Software-Entwickler und IT-Unternehmer der Welt, sondern als Programmierer und Pionier offener Systeme auch gleichsam das "Open Source"-Prinzip in Person. Auf seinem Blog forderte Kapor im April diesen Jahres keine neue Partei, sondern "eine vielschichtige Bewegung aus Ideen, Organisationen und Kulturen, beruhend auf einer gemeinsamen Vision von Demokratie, die fundamental offen, partizipatorisch und dezentral ist".

Kapor verfolgt dabei einen systemtheoretischen Ansatz und greift dabei auf eine Formulierung zurück, die er vor 15 Jahren erstmals im Zusammenhang mit Computernetzwerken geprägt hat: "Architektur ist Politik". Mit anderen Worten:

"Die Architektur (also die Struktur und das Design) politischer Prozesse und nicht ihr Inhalt bestimmt, was erreicht werden kann."

Internet als Vorbild für demokratische Prozesse

Zunächst einmal, so Kapor, könnte mit Hilfe des Internet jedem Menschen eine Stimme gegeben werden - die man bis dato bei Wahlen ja bekanntlich abgegeben hat. Kapor spielt hier auf den Erfolg von Blogs und von Online-Foren an, wo diese Stimmen aufeinander treffen und sich austauschen und gemeinsam Ideen weiterentwickeln. Doch das Internet ist für Mitch Kapor als Gesamtsystem ein Vorbild für die Gesellschaft und ihre demokratischen Prozesse:

"Die dezentrale Architektur des Internet minimiert die Rolle zentraler Autoritäten und maximiert die Fähigkeit jedes einzelnen Teilnehmers jedwede Information oder Dienstleistung anzubieten und anzunehmen und wiederum neue Fähigkeiten und Dienstleistungen zu entwickeln. Was das Internet davor bewahrt, in Chaos und Anarchie abzugleiten ist nicht eine zentralisierte Autorität, sondern der Umstand, dass seine Aktivitäten, obwohl dezentralisiert, höchst koordiniert sind - und zwar durch die Einhaltung von gemeinsam entwickelten offenen Standards."

Die Netzwerk-Demokratie

Eine Reihe von Ideen, die sich bei Mitch Kapor und Jimmy Wales finden, hat der Medientheoretiker und Kulturkritiker Douglas Rushkoff bereits 2003 in einer Abhandlung mit dem Titel "Open Source Democracy" formuliert, die er im Auftrag des linkskonservativen englischen Think Tanks "Demos" verfasste.

Für Rushkoff ist die Mediengeschichte der letzten Jahre und Jahrzehnte eine des fortschreitenden Empowerments von vormals rein passiven Konsumenten. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung: PC und Internet, die passive Empfänger zu Produzenten und Sendern machen.

Rushkoff geht davon aus, dass sich eine hochgradig vernetzte Gesellschaft zwangsläufig auch zu einer "Netzwerk-Demokratie" entwickeln wird. Ist der Geist von Shareware und Open Source erst einmal aus der Flasche, gibt es kein Zurück mehr. Sind die Bürger erst einmal offene Systeme gewöhnt, dann werden sie sich auch im politischen Bereich als gleichwertige Partner und Ko-Autoren einbringen wollen.

Das markiert eine tiefgreifende Veränderung in unserem Verhältnis zu Gesetz und Regierung. Wir bewegen uns von einem simplen Befolgen des Gesetzes hin zu einem Verstehen des Gesetzes und schließlich hin zu der Fähigkeit, das Gesetz selbst zu schreiben.

Grenzen sieht Rushkoff dabei kaum gesetzt - von der Stadtplanung bis hin zum ganzen Währungssystem werden nicht mehr kleine Eliten, sondern aktive Kollektive die gesetzlichen Grundlagen erarbeiten und die Weiterentwicklung steuern. Was Rushkoff dabei allerdings vehement ablehnt ist die Vision einer Tele-Demokratie - bei der permanent über Internet und per Knopfdruck vom Wohnzimmer aus über politische Fragen abgestimmt wird.

Ein großes demokratisches Potenzial

Im Gegensatz zu Rushkoff sieht Stephan Shakespeare, Mitbegründer und Direktor des englischen Online-Meinungsforschungsinstitut YouGov, allerdings gerade in der Verbindung von politischen Entscheidungsfindungsprozessen und Meinungsumfragen via Internet ein großes demokratiepolitisches Potenzial:

YouGov leistet auf diesem Gebiet auch bereits Pionierarbeit: In Zusammenarbeit mit lokalen Behörden organisiert YouGov seit einiger Zeit Plattformen im Internet, in denen Behörden, Experten und Bürger in einen Austausch von Meinungen und Ideen treten - etwa wenn es um lokale Themen wie Parkverbote oder Gemeindegebühren geht.

In einem größeren Rahmen erhebt man zurzeit auch die Meinung der Bevölkerung zu Reformen im britischen Gesundheitswesen. Ziel dabei ist es, die Bürger einzubinden, ehe Reformen beschlossen werden und zwar indem man sie während der Umfrage mit allen Aspekten eines Themas vertraut macht und sie zugleich dazu befragt.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 17. September 2006, 22:30 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
Jimmy Wales - offener Brief zum Start von "Wikia"
Mitch Kapor -Politics is Architecture, and Architecture is Politics
Douglas Rushkoff - Open Source Democracy (PDF)
YouGov

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