Der Fetisch digitale Technologien

Einfachheit versus Komplexität

Immer komplexer werdende multifunktionale Produkte treffen auf Zielgruppen mit dem Trend zur Einfachkeit. Bei der Ars Electronica wurde an zwei Tagen die Schwierigkeit thematisiert, als Konsument mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten.

Gerfried Stocker über Bedürfnisse und Abwehrreaktionen

Warum es so schwierig ist, komplexe Technik einfach zu gestalten, und warum wir in gewissen Bereichen noch mehr Komplexität brauchen, war Thema des heurigen Symposiums der Ars Electronica, das am 1. September in Linz und am 2. September im Stift St. Florian stattgefunden hat.

Die Sehnsucht nach einem einfacheren Leben - wen überkommt sie nicht gelegentlich angesichts unverständlicher Computer, multifunktionaler Mobiltelefone und anderer elektronischer Geräte, die schwer zu durchschauen und schwer zu benützen sind.

Warum es so schwierig ist, komplexe Technik einfach zu gestalten, und warum wir in gewissen Bereichen noch mehr Komplexität brauchen, war Thema des heurigen Symposiums der Ars Electronica, das am 1. September in Linz und am 2. September im Stift St. Florian stattgefunden hat.

Beschleunigte Veränderungen

Angst vor neuen Technologien hat es immer wieder gegeben - man denke nur an die Einführung der Dampfmaschine, der Eisenbahn oder des Autos. Das gilt auch für die neuen digitalen Technologien. Der Unterschied zu früher ist jedoch, dass die Veränderungen jetzt sehr schnell passieren und die Menschen sich ständig an neue Geräte, Menüs, Schnittstellen und Funktionen anpassen müssen.

Dazu kommt, dass viele Geräte und Systeme aufgrund des Drucks des Marktes, ständig Neues herauszubringen, schlecht gestaltet sind und auf die Bedürfnisse der Benutzer zu wenig Rücksicht genommen wird.

Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des Ars Electronica Festivals, ruft Konsumenten deshalb dazu auf, sich zu wehren und über Kaufentscheidungen über gute und schlechte, brauchbare und unnötige Produkte und Funktionen abzustimmen. Die digitalen Technologien müssten ihren Fetisch-Charakter verlieren, dann würden die Benutzer nicht mehr hinnehmen, dass sie von der Industrie als Versuchskaninchen für technische Entwicklungen missbraucht würden.

Viele Funktionen - wenig Brauchbares
Elektronische Produkte werden meist für einen weltweiten Markt entwickelt und sollen die Bedürfnisse sehr unterschiedlicher Benutzer abdecken. Deshalb, so Bernd Wiemann, Leiter von Vodafone Pilotentwicklung in Deutschland, würden meist sehr viele Funktionen in ein Gerät gepackt - nach dem Motto, "ist viel drin, wird wohl für jeden etwas dabei sein".

Das macht Geräte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, wie ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen, aber oft unbenutzbar. Wiemann plädiert deshalb für Entwicklungen, die auf konkretere Zielgruppen abgestimmt sind und weniger Funktionen haben. Und er plädiert für eine neue Ethik in der Industrie und bei Entwicklern. Nicht die Verkaufszahlen sollten im Mittelpunkt neuer Entwicklungen stehen, sondern der Mensch.

Komplexität - wo, für wen, wann?
Die Frage nach Komplexität und Einfachheit liegt für den kanadischen Designer Bill Buxton, der sich wissenschaftlich mit menschlichen Aspekten von Technologien beschäftigt, nicht nur im Design von Produkten. Schlechtes Design werde mit der Zeit verschwinden, weil die Entwickler aus ihren Fehlern lernen würden. Bei der Komplexität der global vernetzten Informations- und Kommunikationssysteme und Infrastrukturen sei das Lernen aus Fehlern heute aber nicht mehr möglich.

Wie der weit reichende Stromausfall in den USA im Jahr 2003 gezeigt hätte, könnten kleine Fehler heutzutage massive Auswirkungen haben. Entscheidend sei es deshalb, wo Einfachheit von Systemen erwünscht sei und wo, für wen und wann Komplexität gefragt sei.

Einfachheit als Gefahr
Der Kulturtheoretiker Thomas Macho denkt, dass die Menschen durch die Fülle an Informationen im Internet-Zeitalter und den Zwang, in einer globalisierten und liberalisierten Welt laufend Entscheidungen treffen zu müssen, zunehmend überfordert seien. Es sei sogar schon eine immer häufiger auftretende Überforderungsdepression zu beobachten.

Der Trend zur Einfachheit, ja geradezu die Sehnsucht danach, der sich in zahlreichen Ratgebern und Seminaren wie "Simplify your life" und dergleichen äußert, berge aber auch eine Gefahr. Nämlich jene, dass religiöse oder politische Populisten, die einfache Lösungen versprechen würden, mehr Zulauf bekommen.

Mehr zu allen aktuellen Berichten und Ö1 Übertragungen von der Ars Electronica in Ö1 - Der Festspielsender

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 6. September 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach Ende der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
Ars Electronica - Festival 2006
Humboldt-Universität zu Berlin - Thomas Macho
Bill Buxton
Vodafone Group R&D Germany

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