Wie aus Apostelin Apostel wird
Die Theologie und die andere Hälfte
Jahrhunderte hindurch war Theologie eine reine Männersache. Frauen dürfen erst seit einigen Jahrzehnten Theologie studieren. Und sie entdecken, was in der Bibel wirklich steht. Heute sind Frauen aus der Theologie nicht mehr wegzudenken.
8. April 2017, 21:58
In der evangelischen Kirche können Frauen seit den 1920er Jahren Theologie studieren, und seit damals können Frauen auch im kirchlichen Dienst arbeiten. In der katholischen Kirche ist es ihnen erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlaubt worden. In Österreich zum Beispiel studierte 1934 eine einzige Frau mit bischöflicher Sondererlaubnis Theologie, doch ab 1937 verbot die Bischofskonferenz weibliche Hörer an theologischen Fakultäten.
Das Verbot wurde 1945 aufgehoben, und immerhin erwarb bereits 1946 in Wien die erste Frau den Doktortitel in katholischer Theologie. In Deutschland war dies erst Anfang der 1950er Jahre möglich. Bis dahin war ein Theologiedoktorat an die Weihe zum Subdiakon gebunden - also nur für Priesterkandidaten.
Doktorat verwehrt
Doch etwa an der renommierten Tübinger Fakultät wurde Frauen noch Mitte der 1960er Jahre das Doktorat verwehrt. Als sich zum Beispiel Elisabeth Gössmann, eine der "Mütter" der theologischen Frauenforschung 1963 in München habilitieren wollte, wurde das Verfahren wegen Einspruchs der deutschen Bischöfe abgebrochen. Sie lehrt seither in Japan an der katholischen Sophia-Universität in Tokyo.
Auch Elisabeth Schüssler Fiorenza, eine der wichtigsten feministischen Theologinnen, musste in die USA auswandern. Sie ist seit langem Theologie-Professorin an der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard.
Feministische Theologie
Der erste Lehrstuhl für feministische Theologie in Europa wurde 1983 in Holland eingerichtet. In Deutschland war feministische Theologie fast nur außerhalb des Universitätsbetriebs möglich. 1983 wurde auch die Publikation "Schlangenbrut - Zeitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen" gegründet, die seit nun mehr als zwanzig Jahren erfolgreich im Eigenverlag betrieben wird.
Eine Professur für feministische Theologie und Frauenforschung gab es in Deutschland erst 1986. In diesem Jahr wurde auch die ESWTR gegründet, die Europäische Gesellschaft für Frauen in der theologischen Forschung.
Verzerrungen auf der Spur
Das Theologie-Studium befähigt Frauen, selbst die Original-Texte der Bibel zu lesen. So sind sie manchen Verzerrungen auf die Spur gekommen. Die feministische Theologie zeigt, dass es nicht egal ist, ob ein Mann oder eine Frau denselben Text liest, übersetzt und auslegt.
Zum Beispiel werden dieselben hebräischen Worte anders übersetzt, wenn von einem Mann oder einer Frau die Rede ist. Was beim Mann "Priesterdienst tun" heißt, wird bei Frauen als untergeordnete Tätigkeit übersetzt.
Theologie war Männersache
Bisher war die christliche Theologie vor allem Männersache. Auf den ersten Blick ist auch die Bibel selbst von Männern niedergeschrieben und später aus dem Hebräischen ins Griechische und Lateinische übersetzt worden.
Zumindest sieht das in der Überlieferung der Kirche so aus. Denn die hat die Frauen, die zum Teil maßgeblich mitgearbeitet haben, ausgeblendet und nahezu unsichtbar gemacht.
Frauen und Bibelexegese
Erst die feministische Exegese hat entdeckt, dass eine Frau, die Prophetin Hulda, die knapp vor dem babylonischen Exil gelebt hat, sozusagen die Hebamme des zentralen biblischen Buches Deutoronium ist.
Und die berühmte und sehr einflussreiche lateinische Übersetzung der Bibel, die Vulgata, wird ausschließlich dem Kirchenvater Hieronimus zugeschrieben. Doch tatsächlich wären eine ganze Reihe gebildeter und hoch stehender Frauen daran beteiligt gewesen, von denen es aber kaum Spuren gäbe, sagt die Alttestamentlerin Helen Schüngel-Straumann.
Aus Apostelin wird Apostel
Gravierender sind Veränderungen der Überlieferung. Anfangs scheinen Frauen und Männer in der Jesus-Bewegung gleichberechtigt gewesen zu sein. Zum Beispiel gab es eine Frau, Junia, die in den ältesten erhaltenen Manuskripten als Apostelin bezeichnet wird - doch dann wird ein "s" an ihren Namen angehängt und es wird ein Mann aus ihr gemacht. Oder Maria von Magdala. Auch sie galt bis ins 13. Jahrhundert als Apostelin.
Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Islam
Frauen in der Theologie: das ist nicht nur ein christliches Phänomen. Das gibt es auch im Judentum, im Hinduismus, Buddhismus und Islam. Spirituelle Alphabetisierung nennt das die Theologin und Religionswissenschaftlerin Ursula King von der Bristol University in England.
Spirituelle Alphabetisierung ist in allen Religionen nötig - denn überall wurden und werden Frauen unterdrückt. Seit 1987 gibt es eine buddhistische Frauenfrauenbewegung, die Shakyadita-Bewegung. Ähnliches ortet Ursula King im Islam. In Indonesien zum Beispiel gibt es seit vielen Jahren für Frauen die Möglichkeit, Imam oder Sharia-Richterin zu werden, und selbst auf Al-Jazeera legen Frauengruppen den Koran aus. Bisher haben die Religionen den Frauen eine Rolle zugewiesen - jetzt entdecken die Frauen die Religionen als ihr Erbe.
Hör-Tipp
Logos, Samstag, 2. September 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
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Links
Ludwig-Maximilians-Universität München - Elisabeth Gössmann
Wikipedia - Elisabeth Schüssler Fiorenza
Europäische Gesellschaft für Frauen in der theologischen Forschung
Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie
Schlangenbrut
Sakyadhita