Ein Gespräch aus dem Jahr 1960
Karlheinz Stockhausen ist tot
Der Komponist Karlheinz Stockhausen ist tot. Wie Freitagabend bekannt wurde, starb Stockhausen am 5. Dezember im Alter von 79 Jahren. Sein Gespräch mit Theodor W. Adorno aus dem Jahr 1960 hat noch heute Gültigkeit.
8. April 2017, 21:58
Komponieren für die Gegenwart, nicht für die Zukunft
Der 1928 bei Köln geborene Karlheinz Stockhausen gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er schrieb zunächst "serielle Musik", das ist eine Weiterentwicklung der Zwölftontechnik von Arnold Schönberg und wird nach strengen Regeln komponiert. Er gilt als Miterfinder der "punktuellen Musik" und experimentierte später mit Elektronik, Elektroakustik und "Raummusik". 2001 erhielt er den hoch dotierten Siemens-Musikpreis. Die Beatles verewigten ihn auf dem Plattencover von "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", was zeigt, dass seine Kompositionen zahlreiche Musiker aus den unterschiedlichsten Genres begeistert und wohl auch beeinflusst haben.
Adorno erinnert im Gespräch mit Stockhausen an die Schreiorgien nach der Uraufführung der zweiten Symphonie von Ernst Krenek in Kassel. Am Dirigentenpult stand damals, am 11. Juni 1923, Robert Laugs, laut Krenek "ein älterer Durchschnittsmusiker, der nicht die geringste Ahnung hatte, auf was er sich eingelassen hatte". Bezeichnend Laugs" Worte am Beginn der ersten Probe zu seinen Musikern: "Meine Herren, wir werden jetzt etwas spielen, das keiner jemals verstehen wird. Trotzdem werden wir unser Bestes tun. Wenn jemand meint, ein Thema zu haben, möge er bitte laut spielen." Das waren seine ersten und letzten Anweisungen, und danach wurde das Stück gespielt.
Spezialität für Spezialisten?
Wenige Jahrzehnte später, 1960, diagnostiziert Adorno: "Neue Musik wird als 'Spezialität für Spezialisten' betrachtet, sie wird nicht mehr schroff und feindselig abgelehnt, sie wird neutralisiert". Und er beschreibt die Einstellung der sich sich tolerant dünkenden 'Spezialisten' so: "Diese Gelassenheit und Neutralität ist eigentlich nur die Maske, die der Widerstand sich anlegt, während dahinter sich doch Feindseligkeit versteckt."
Auszug aus dem Studiogespräch des Hessischen Rundfunks vom Juni 1960:
Theodor W. Adorno: Es ist unsere Absicht, Herr Stockhausen, uns ein wenig zu unterhalten über die Widerstände gegen die "Neue Musik". Ich glaube, dass wir darin uns einig sind, dass wir dabei nicht die Gemeinplätze wiederholen, die etwa darin bestehen, dass alles Neue in der Welt seine Schwierigkeiten hätte, dass jede neue Kunst mit Widerständen zu kämpfen hätte, oder gar polemisieren gegen den Idiotismus, dass man sich an die "Neue Musik" etwa zu gewöhnen hätte wie an eine Speise, die einem Kind schwer fällt, aber auf die es sich, wenn es dann abgestumpft wird, dann doch allmählich einstellt. Sondern, wenn es Ihnen recht ist, dann wollen wir doch versuchen, auf spezifische Schwierigkeiten und Widerstände einzugehen, denen die "Neue Musik" begegnet, und die unter dieses allgemeine Geschehen nicht zu bringen sind.
Karlheinz Stockhausen: Ich müsste vielleicht, Herr Adorno, die Frage stellen, wo der Widerstand überhaupt merkbar wird. Im Vergleich mit der Malerei - wie Sie selbst einmal gesagt haben -, liegt es in der Musik sehr viel anders. In der Malerei steht der Betrachter vor dem Bild und hat längst schon einmal gesehen, was ihm da in irgend einer neuen Form begegnet, und glaubt, es sei ihm schon verwandt. Während in der Musik doch die Form von Werk zu Werk ihm sehr viel krasser gegenüber steht, als dass er sie vorher schon einmal zur Kenntnis genommen hätte. Und deshalb wäre es sinnvoll, zunächst zu unterscheiden zwischen denen, die mit der Musik selber zu tun haben und sich sehr gegen das wenden, was ihnen die Komponisten heute komponieren, und denen, die passiv als Hörer der Musik ausgesetzt sind - sei es im Konzertsaal oder im Rundfunk.
Ja, da würde ich Ihnen zustimmen. Das sind zum Teil auch ganz verschiedene Typen des Widerstands, obwohl die dann auch etwa sich begegnen. Es ist vor allem sehr oft so, dass die reproduzierenden Künstler, die ja sich selbst vielfach als Vermittler zwischen dem Werk und dem Publikum fühlen, dann die Stimme des Publikums - oder vielmehr das, was sie dafür halten - gegen die "Neue Musik" vertreten und mit mehr oder minder viel Witz sich zu Sprechern dessen machen, wovon sie annehmen, dass es so die communis opinio gegen die "Neue Musik" überhaupt sei. Aber ich würde vorschlagen, dass wir zunächst einmal wirklich auf die Frage eingehen, welchen spezifischen Widerständen gerade in der gegenwärtigen Situation die "Neue Musik" unter den so genannten Fachleuten, also unter den Musikern selbst begegnet.
Da darf ich Sie einmal fragen: Was haben Sie mit Widerstand gemeint. Meinten Sie offene Feindseligkeit? Oder meinten Sie eher so etwas wie An-die-Wand-stellen, Beiseite-drücken?
Ich glaube, da hat sich eine wesentliche Änderung vollzogen, und es ist gut, wenn wir das von vornherein schon ein bisschen klären. Vor 30 Jahren gab es wirklich so etwas wie einen heftigen Widerstand. Heute ist es ja weitgehend so, dass die Leute sich gar nicht mehr aufregen über die moderne Musik, dass sie die neuen Dinge in gar keiner Weise schroff und feindselig ablehnen.
Mehr zu Karlheinz Stockhausens Tod in oe1.ORF.at und in ORF.at
Hör-Tipp
Österreich 1 ändert in memoriam Karlheinz Stockhausen sein Programm:
Zeit-Ton, Freitag, 7. Dezember 2006, 23:05 Uhr.
CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop
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Karlheinz Stockhausen
Wikipedia - Karlheinz Stockhausen