Über Anlaufschwierigkeiten und erste Initiativen

Die Sprache der Gehörlosen

Seit 1. September 2005 ist die Gebärdensprache als Minderheitensprache in der Verfassung verankert. Vertreter der Gehörlosen haben lange darum gekämpft. Die Umsetzung im Alltag, etwa in den Schulen, lässt aber auf sich warten.

Helene Jarmer, übersetzt von Barbara Gerstbach

Die österreichische Gebärdensprache wurde nach langem Kampf am 1. September 2005 in der Verfassung als eigenständige Sprache verankert. Was hat die Anerkennung den Gehörlosen gebracht? Welche Initiativen wurden gestartet? Welche Forderungen sind noch offen?

Anerkennung großer Erfolg

Gehörlose sind stolz auf ihre Muttersprache, die Gebärdensprache. Die etwa 10.000 gehörlosen Menschen in Österreich sehen sich als Sprachminderheit und nicht als Behinderte.

Es gibt nationale Varianten, ja sogar regionale Dialekte und Soziolekte (z. B. die Jugendsprache). Gebärdensprach-VerwenderInnen haben durch ihre gemeinsame Sprache auch eine eigene Kultur entwickelt.

Die Anerkennung als eigenständige Sprache wurde vom ÖGLB, dem Österreichischen Gehörlosenbund, als großer Erfolg gefeiert. Ohne die intensive Lobbyarbeit der letzten Jahre wäre sie heute nicht Realität, ist Helene Jarmer, Präsidentin des ÖGLB, überzeugt. Denn noch vor ein paar Jahren wusste noch keiner mit Gebärdensprache etwas anzufangen.

Amüsantes Gemüse im Parlament

ÖVP-Behindertensprecher Fanz-Joseph Huainigg hat auf seine Weise Bewusstseinsarbeit betrieben: Er ließ seine Reden im Parlament Gebärdensprach-dolmetschen, bewies somit das Vermögen dieser Sprache und sorgte für Heiterkeit, als er die Namen der Politikerkollegen Schüssel, Kohl oder Pilz gebärden ließ.

Theresia Haidlmayr, Behindertensprecherin der Grünen, freut sich zwar über die Anerkennung, an der sie wesentlichen Anteil hatte, doch die Zwischenbilanz nach einem Jahr ist für sie kein Grund zum Feiern. An der Wahrnehmung der Gebärdensprache und der Bereitschaft, etwas zu tun, habe sich Vieles zum Positiven gewendet. Im zentralen Bereich gleicher Bildungs- und Berufschancen sowie dem gleichberechtigten Zugang zur Information gehe es jedoch zu langsam voran, meint sie.

Bereitschaft allein zu wenig

Bei der Umsetzung der einzelnen Gesetze mit dem Ziel eines gleichberechtigten Lebens steht man erst am Anfang, weiß auch Helene Jarmer. So ist es zwar erfreulich, dass Gehörlose nun die Führerscheinprüfung auch in Gebärdensprache machen können, aber dass gehörlose Kinder in den Gehörlosenschulen - mit einzelnen Ausnahmen - keine Lehrer haben, die der Gebärdensprache mächtig sind, ist wohl für die meisten unverständlich.

Jarmer nimmt aber in den letzten Monaten erfreut erste Bewegungen im System wahr: Erstmals werden sie als Gehörslose auch eingebunden - für sie ein wichtiges Zeichen für Respekt und Gleichberechtigung. Denn inakzeptabel war für sie die Tatsache, dass bisher Hörende allein darüber entschieden haben, was gehörlose Kinder brauchen, mit dem Ergebnis: Es ist die Lautsprache und damit das Lippenlesen, an der sich gehörlose Kinder zu orientieren haben. Denn beides - sowohl Laut- als auch Gebärdensprache - ist für ein integriertes Leben in der Gesellschaft notwendig, betont sie.

Von Seiten des Bildungsministeriums wird in diesem Zusammenhang auf die im Jahr 2007 geplante Umwandlung der Pädaks in pädagogische Hochschulen und die dort vorgesehene Erweiterung der Lehrer-Fortbildung in Gebärdensprache hingewiesen. Noch viel zu wenig, aber ein Schritt in die richtige Richtung, urteilen Gehörlosenvertreter und Behindertensprecher.

Defizite beseitigen

Für den Österreichischen Gehörlosenbund steht daher im Vordergrund, die Möglichkeiten für Gebärdensprach-Benutzerinnen und -Benutzer zu erweitern und Diskriminierungen zu beseitigen. Die gibt es beispielsweise in der Gesundheitsversorgung: Im Normalfall trifft ein gehörloser Patient auf einen der Gebärdensprache nicht mächtigen Arzt, denn es gibt - zum Unterschied von den USA - keine gehörlosen Ärzte. Diese Defizite in der Kommunikation gehörten beseitigt, so der ÖGLB. Er warnt in diesem Zusammenhang auch vor einer Vermischung des rein technischen "Hören-Könnens" mit dem weit mehr umfassenderen Spracherwerb. Das Cochlea-Implantat - ein hinter das Ohr eingepflanztes Chip - sollte als Ergänzung, und nicht - vorschnell - als Ersatz zur visuellen Gebärdensprache gesehen werden.

Eine möglichst vollständige Untertitelung und die Möglichkeit, die gebärdensprachgedolmetschte ZIB1 nicht nur digital und mit Zusatzkosten verbunden, sondern auch in einem terrestrischen Kanal empfangen zu können, gehören zu Forderungen an den ORF. Dieser spricht in einer schriftlichen Stellungnahme von Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung der Untertitelung. An der Qualität werde aber laufend gearbeitet. Die ZIB1 mit Gebärdensprache sei im Satellitenprogramm nicht "versteckt“, wie es die Gehörlosen empfinden, sondern das sei die "Zukunftstechnologie des Fernsehens“.


Die Gehörlosenambulanz

Ein Beispiel, dass die ärztliche Betreuung Gehörloser auch funktionieren kann, ist die Gehörlosenambulanz im Wiener Krankenhaus der Barmherzogen Brüder. Sie ist stets gut besucht. Deren Leiterin beherrscht nämlich die Gebärdensprache.

Auch der ebenfalls dort tätige Sozialarbeiter ist gehörlos. Er selbst hatte in seiner Ausbildung noch zahlreiche Barrieren zu überwinden. Mit viel Eigenengagement stellte er das Budget für die Dolmetscher auf. Auch zwei gehörlose Praktikantinnen waren kürzlich im Labor der Ambulanz beschäftigt: Pamela - sie möchte eigentlich Hebamme werden, und Nadja - sie hat den Wunsch, als Altenbetreuerin zu arbeiten.

EU-Projekt "BlickWechsel"

Bisher waren Gehörlose unter dem Hinweis auf körperliche Eignung auch von vielen Berufen ausgeschlossen. Dieser Passus wurde heuer gestrichen, aber der Weg zur Umsetzung ist noch nicht geebnet. Ein EU-Projekt mit dem Namen "BlickWechsel - neue Perspektiven für den Gesundheits- und Sozialbereich" soll dabei helfen:

Praktika im Gesundheits- und Sozialbereich sollen gehörlosen InteressentInnen sowie hörenden ArbeitgeberInnen die Möglichkeit geben, zu erfahren, wo es tatsächlich Grenzen aufgrund der Gehörlosigkeit gibt - oder wo diese Grenzen nur in den Köpfen bestehen.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 31. August 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
Krankenhaus Barmherzige Brüder Wien - Gehörlosenambulanz
kundendienst.ORF.at - Serviceangebot für Gehörlose, Blinde und Sehbehinderte
Österreichischer Gehörlosenbund
equalizent
Europäische Gemeinschaftsinitiative EQUAL
BlickWechsel
Wiener Organisation von und für Gehörlose
Gebärdensprach-DolmetscherInnen Verband