Die einstige Größe ist dahin

New Orleans nach "Katrina"

Am 29. August 2005 erreichte der Wirbelsturm "Katrina" seine maximale Stärke und traf am folgenden Tag mit voller Wucht auf die US-Golfküste. An den Folgen der Katastrophe leidet die Stadt bis heute und gerade auch ihr wichtigster Imageträger, die Jazzszene.

"Treffpunkt Kultur" über Wendy Oxenhorns Jazzfoundation

New Orleans betete. So, wie nur New Orleans beten kann. Jammernde Jazz-Trompeten und dröhnende Tuben erfüllten die katholische Kirche St. Augustine in der Nähe des French Quarters. Die Jazz-Messe zum Beginn des "Satchmo Summerfest" Anfang August - einem alljährlichen Tribut zum Geburtstag von Louis Armstrong - war gut besucht. Gebetet wurde ganz ausdrücklich für alle Musiker, die seit der "Katrina"-Katastrophe am 29. August 2005 nicht wieder an den Mississippi zurückgekehrt sind. Sie werden schmerzlich vermisst.

Eine bedeutende Rolle beim Aufbau der musikalischen Infrastruktur und bei der Unterstützung Not leidender Künstler spielt Wendy Oxenhorn und ihre Jazzfoundation. Dieser "Mutter Theresa des Jazz" hat "Treffpunkt Kultur" ein Porträt gewidmet, das Sie im Audio am Kopf des Artikels hören können.

Jazz-Szene ist versprengt

"Es ist so schrecklich, dass all die Musiker nun über die ganzen Vereinigten Staaten verstreut sind", sagte der 95-jährige Trompeter Lionel Ferbos, der Armstrong noch gekannt hat. Nur knapp zehn Prozent der Musiker, die allabendlich mit ihren unverwechselbaren Rhythmen zwischen Bourbon und Oak Street für Flair sorgten, sind nach Schätzungen der Lokalzeitung "The Times-Picayune" bisher wieder zurückgekehrt. Ob New Orleans eine Chance auf ein Comeback als Jazzmetropole hat, ist ein Jahr nach "Katrina" noch nicht abzusehen.

Früher war Jazz-Trompeter Shamarr Allen nur eine Viertelstunde zu seinem wöchentlichen Gig im Maple Leaf Café in New Orleans unterwegs. Jetzt muss der 25-jährige Musiker der berühmten Rebirth Brass Band sieben Autostunden aus Atlanta anfahren. Dort hat ihn die Rap-Gruppe Outfit als Musikproduzenten angeheuert. Allen kommt nur noch selten für Gast-Auftritte in die Geburtsstadt des Jazz. "Ich möchte wieder nach New Orleans zurück, aber mir geht es in Atlanta wirklich gut", sagt er.

Wenige Aufrittsmöglichkeiten
Und er ist nicht der Einzige. Auch große Namen wie der blinde Jazz- und Blues-Pianist Henry Butler sowie wie Aaron und Cyril Neville von den Neville Brothers haben ihrer Stadt den Rücken gekehrt. Sie leben über die ganzen USA verteilt, in New York, in Texas, in Florida. Eine Rückkehr wird durch die gleichen Probleme erschwert, die alle anderen früheren Bewohner abwägen müssen: Die wenigen Wohnungen sind teuer, die Infrastruktur entsteht nur langsam wieder, und die Jobs - Auftrittmöglichkeiten - sind rar. Einige Clubs wurden so schwer beschädigt, dass sie für immer ihre Tore schließen mussten, wie zum Beispiel Ray's Over the River, das der lokale Multi-Millionär Ray Wooldridge erst fünf Monate vor dem Hurrikan eröffnet hatte. O'Flaherty's Irish Channel Pub ist ebenso dunkel wie The Blue Nile, obwohl es direkt an der wieder gut besuchten Frenchmen Street liegt.

Erste Erfolge

Trotzdem lebt der Jazz in New Orleans nicht nur in der katholischen Kirche St. Augustin. Großereignisse wie Mardi Gras im Februar oder das äußerst erfolgreiche zweitägige Jazz and Heritage Festival zogen die Fans wieder scharenweise an. Zwar kamen erst mal nur 350.000 Besucher (sonst über eine halbe Million), aber sie gaben der Stadt einen dringend benötigten wirtschaftlichen Kick.

Mittlerweile haben auch rund 80 größere und kleinere Bühnen teilweise wieder geöffnet, bestätigt das Fremdenverkehrsamt der Stadt. Darunter sind so legendäre Clubs wie Snug Harbor und Tipitina oder die Preservation Hall, die mitten im French Quarter liegt. Live-Musik gibt es dort jedoch statt wie früher 365 Tage im Jahr derzeit nur noch am Wochenende. Stattdessen ist die hauseigene Preservation Hall Jazz Band permanent auf Tour.

New Orleans inoffizielle Botschafter
"Wir haben eine deutlichere Präsenz als zuvor. Wir stehen im Rampenlicht als inoffizielle Botschafter von New Orleans' Musik auf der ganzen Welt", sagt Bandleader Ben Jaffe. Ähnlich geht es der Rebirth Brass Band, die ebenfalls ständig auf Achse ist. "Wir sind ausgebucht. Wir sind eine der wenigen glücklichen Bands. Der Name 'Rebirth' ist einfach bekannt", sagt Bandleader Phil Frazier.

Und so ist das beste Symbol für die Unerschütterlichkeit von New Orleans wohl Fats Dominos Steinway-Flügel. Der Musiker musste sein Instrument zurücklassen, als er aus seinem Haus gerettet wurde. Es schimmelte mehrere Monate vor sich hin, bis sich im März fünf Restaurateure des Pianos annahmen. Jetzt steht es im neuen Glanz im Museum des Staats Louisiana, so wie es gefunden wurde: Auf drei Beinen auf der Seite liegend. Aber es funktioniert noch halbwegs. Und deshalb können auch die Jazz-Musiker auf eine Zukunft in New Orleans hoffen. Adam Shipley, der Besitzer des Jazzclubs Tipitina, verspricht fast ein bisschen trotzig: "Wir sind zerschrammt und ramponiert. Aber diese Kultur kann man nicht zerstören."

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