Behindertenbetreuung durch flexible Allrounder
Selbstbestimmt leben
Persönliche Assistenten unterstützen Behinderte im beruflichen und privaten Alltag, erledigen alle Handgriffe und Aufgaben, die die Betroffenen alleine nicht vollbringen könnten. Eine wichtige Idee, deren Finanzierung aber noch in der Luft hängt.
8. April 2017, 21:58
Dorothea Broschek aus der Sicht Behinderter
Behinderte Menschen möchten nicht mehr von sozialen Organisationen nach deren Zeitplänen "betreut werden, sondern die Zügel selbst in die Hand nehmen. Das Zauberwort heißt "Persönliche Assistenz: Betroffene engagieren dabei Laien, die ihnen bei Alltagsverrichtungen zur Hand gehen - ein neuer Weg zu mehr Selbstbestimmung.
Ursprungsidee aus Übersee
"Ich möchte selbst bestimmen, wer mich unterstützt, wann und wie ich unterstützt werde!" - Nach diesem Motto hat sich in den USA bereits vor 30 Jahren die Idee von "Persönlichen Assistenten" für behinderte Menschen entwickelt.
Die Wurzeln dieser Gesinnung entstammen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung "Selbstbestimmt leben. Mit Leitsprüchen wie "Reißt die Mauern nieder, "Schließt die Institutionen suchten Betroffene nach privat organisierten Unterstützungsmodellen, die ihnen daheim ein eigenverantwortliches Leben ermöglichen sollten.
Flexible Allrounder gesucht
Diese Leitsprüche aus den USA beginnen nun mehr und mehr auch in Österreich Fuß zu fassen. Denn Behinderte wollen nicht auf "Essen auf Rädern" angewiesen sein oder auf Besuchsdienste, die keine Pflegeaufgaben übernehmen wollen bzw. keine Nachtdienste leisten. Deswegen engagieren sie zunehmend flexible Allrounder.
Manchmal sind es Sozialarbeiter, mitunter auch Studenten, die sich ein Taschengeld dazu verdienen wollen. Sie verfügen oft über keine spezifische Ausbildung, geben dafür jedoch die Unterstützung dort, wo der Betreffende sie benötigt, sowie zu jenen Zeiten, die gemeinsam vereinbart werden.
Finanzierung auf wackeligen Beinen
Während "Persönliche Assistenz" in skandinavischen Ländern bereits gesetzlich verankert ist, steckt dieser Schritt zu Freiheit und Selbstverantwortung bei uns noch in den Kinderschuhen. Denn die Finanzierung von "Persönlichen Assistenten" ist keineswegs gesichert. Auch fällt sie in jedem Bundesland anders aus. Meist ist auf der Basis des geringen Stundenlohns keine Fixanstellung möglich, sodass die Fluktuation unter den Assistenten groß ist, was wiederum für den Behinderten bedeutet, dass er viel Energie in die Suche und in das Anlernen von stets neuen Assistenten investieren muss.
Finanziert werden die "Persönlichen Assistenten" derzeit aus dem Pflegegeld; in manchen Bundesländern gibt es Zusatzpauschalen. Betroffene können wie privatwirtschaftliche Dienstgeber die gesamte Organisation und Abrechnung der Assistenten alleine managen, oder aber sie greifen auf die Hilfe von in dieser Materie erfahrenen Betroffenen-Organisationen zurück, die ihnen den administrativen Aufwand abnehmen.
Modellprojekt vom Fonds Soziales Wien
Ein couragiertes Modellprojekt wurde nun in Wien ins Leben gerufen: Über einen Zeitraum von zwei Jahren bekommen zwanzig behinderte Menschen vom Fonds Soziales Wien Direktzahlungen, die ihnen die Finanzierung von "Persönlicher Assistenz" je nach Bedarf ermöglichen soll. Danach soll das Projekt evaluiert und über eine Ausweitung auf das gesamte Bundesland nachgedacht werden. Der Haken liegt bei der Höhe der Zahlungen ...
Der Stundenlohn ist nämlich mit 13,72 Euro relativ niedrig veranschlagt. Anstellungsverhältnisse dürften sich aufgrund der anfallenden Sozialabgaben daher wohl kaum ausgehen. Die Wiener Assistenzgenossenschaft, eine Betroffenen-Organisation, die die Abrechnung, Zeitplanerstellung und beratende Begleitung von Assistenzverhältnissen übernimmt, verrechnet wiederum 22 Euro Stundenlohn für von ihr organisierte Assistenten, sagt ihre Leiterin, Rollstuhlfahrerin Dorothea Broschek. Auch in anderen Bundesländern, in denen ähnliche Betroffenen-Vereinigungen bei der Organisation der Assistenzen zur Hand gehen, schwankt die Höhe des Stundenlohns beträchtlich.
Behörden und Politiker hinken den Wünschen nach
Generell werden behinderte Menschen bei den Behörden und Politikern wohl noch viel Bewusstseinsarbeit leisten müssen, denn der von den Betroffenen angestrebte Trend zur Schließung der Heime hat sich noch keineswegs durchgesetzt.
In Wien gibt es aktuell vor allem "Betreute Wohngemeinschaften. Auch sie finden nicht immer Beifall. Behinderte monieren, dass sie sich auch dort weder die Mitbewohner, noch die Betreuer selber aussuchen können. Auch kann der Wunsch nach Privatsphäre nicht realisiert werden. In anderen Bundesländern gibt es nach wie vor große Behindertenheime, die den Betroffenen kein selbstständiges Leben zutrauen.
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 29. August 2006, 18:25 Uhr
Download-Tipp
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Links
Persönliche Assistenz - Informationsbroschüre (PDF)
Wiener Assistenzgenossenschaft
Selbstbestimmt leben
Fonds Soziales Wien
Sozialprojekte
Behindertenarbeit