Der Schweizer Slam-Poet Gabriel Vetter
Vetter'n Wirtschaft
Gabriel Vetter kleidet sich unauffällig, was freilich nichts als raffinierte Tarnung ist, denn schon bald versetzt Vetter bei seinen Auftritten das klassische Kabarett-Publikum mit seinen schnellen, schrillen Wortkaskaden in Erstaunen.
8. April 2017, 21:58
"I impragnated my golden retriever"
20. Mai 2006 im Wiener RadioKulturhaus. Betont unpathetisch überreicht Andrea Händler einem jungen Kollegen jenen renommierten Kabarett- und Kleinkunstpreis, den sie selber schon sieben Jahre zuvor erhalten hat, den "Salzburger Stier".
"Mich hats" gesteht Händler "ein bisschen geschreckt, als ich das Geburtsdatum gelesen hab. 1983 - das könnte mein Sohn sein! No hawedere! Wo doch jeder weiß, dass ich keine Kinder mag. Aber dich hätte ich gern als Sohn, weil bei dem Werdegang, der da noch vor dir liegt, wär' das eine super Pensionsvorsorge. Gratulation!"
Zum 25. Mal wurden die gehörnten Trophäen heuer vergeben, unter anderem an den Schweizer Slam-Poeten Gabriel Vetter. Mit 23 Jahren ist er noch nicht einmal so alt wie die Ehrung, die ihm zuteil wurde und zudem der jüngste "Stier"-Preisträger aller Zeiten.
"Carmina Burana" zur Begrüßung
So rasant und verspielt wie Gabriel Vetters Vortrag war auch schon sein Einzug in den altehrwürdigen Großen Sendesaal. Zur Musik von Orffs "Carmina Burana" und später seiner Band, der "Vetternwirtschaft" raste er auf einem bunten Kindertraktor am verdutzten Publikum vorbei direkt auf die Bühne zu.
Ein kleiner Mann von solider Statur, unauffällig gekleidet, braune Hose, braunes Karo-Hemd, braune Krawatte, mit - wie ein Kritiker ihm einmal attestierte - "dem Blick einer Babyrobbe". Alles freilich nichts als raffinierte Tarnung, denn schon bald versetzte Vetter mit seinen schnellen, schrillen Wortkaskaden das klassische Kabarett-Publikum in Erstaunen.
Eigenwilliger Sprachwitz
Slam Poetry, also Literatur, die wie ein Schlag, schnell, laut, aggressiv auf das jeweilige Auditorium losgelassen wird, ist eine Kunstform, die aus Amerika kommt und seit Mitte der 1990er Jahre auch in Europa Einzug gehalten hat. Bei öffentlichen Bewerben, den Poetry Slams, wird neben dem Inhalt auch die Performance, der Vortrag eines Textes bewertet. Und Gabriel Vetter hat mit seinem eigenwilligen Sprachwitz bisher nicht nur in seiner Schweizer Heimat diverse Slams gewonnen, er wurde auch schon beim "German International Poetry Slam" zum Champion gekürt.
Selbstironisch zieht Vetter Parallelen zwischen der Slam Poetry und einer bekannten neurologischen Störung, auch im Titel seiner ersten CD "Tourette de Suisse": "'Tourette' wie das 'Tourette-Syndrom', dieser Tick, wo man sich nicht beherrschen kann und rumschreien und fluchen muss. Dieser innere Drang, sich über etwas auszulassen, das einem nicht passt, aber man weiß ganz genau, dass einen niemand beachtet. Diese Thematik zeichnet sich auch in meinen Texten ab."
Die Conny mit dem Pony
Voller Aberwitz sind Vetters Geschichten, vom Hamster, der ein Bernhardiner sein will, von der kleinen Wurst, die lieber ein Steak wäre, von Katzen, die platzen, oder von der kleinen Conny, die sich mit ihrem Pony in den überfüllten Autobus zwängt und sich denkt "oh hätt ich mir doch einen Löwen gewünscht, ein Gnu oder einen Bären, der Bär würde jetzt alle Rentner im Bus auffressen und ich hätte endlich mehr Platz".
Im Gegensatz zu diesen tragikomischen Schicksalen ist Gabriel Vetters Lebenslauf eine einzige Erfolgsgeschichte. Natürlich fühlt er sich geehrt, dass er schon in so jungen Jahren mit dem bedeutendsten Radiopreis des deutschsprachigen Kabaretts, dem "Salzburger Stier", ausgezeichnet worden ist: "Der Preis kommt mir sehr gelegen, weil ich mich ja nicht als Kabarettisten sehe und so aus dieser Anti-Position heraus agieren kann. Ich brauche immer eine Struktur, gegen die ich rebellieren kann."
Ein (fast) perfektes Paar
Vom Aufbäumen gegen allzu klare Verhältnisse erzählt Gabriel Vetter auch in der Geschichte über "Ida und Kaspar", das perfekte Prachtpaar. Fast zu perfekt, um wahr zu sein. Deshalb sehnt sich Ida nach Abwechslung:
Probleme sind ein Menschenrecht!
Hab ich sie nicht, dann gehts mir schlecht.
Ach Kaspar, sagte sie zuletzt,
ich will, dass du mich jetzt verletzt!
Ich brauche Legitimation
für meine kleine Depression.
Ich will, dass sich mein Herz jetzt bricht.
So tus doch, selbstzufriedner Wicht!
Und unser Kaspar, der tats nicht."
Hör-Tipp
Contra, Sonntag, 27. August 2006, 22:05 Uhr
CD-Tipp
Gabriel Vetter, "Tourette de Suisse", Sprechstation Verlag, ISBN 393905500X
Veranstaltungs-Tipps
Gabriel Vetter, 6. Oktober 2006, Festival Pyhrn-Priel in Windischgarsten
"Ursus & Nadeschkin", 30. August 2006, Kulisse,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent).
Links
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Kulisse
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kabarett.cc