Schläge im Namen des Herrn

Misshandlungen in kirchlichen Kinderheimen

"Spiegel"-Journalist Peter Wensierski hat ein Aufsehen erregendes Buch veröffentlicht. "Schläge im Namen des Herrn" berichtet über Misshandlung von tausenden Kindern und Jugendlichen in vor allem kirchlichen Fürsorgeheimen der 1950er und 1960er Jahre.

Erbrochenes musste wieder gegessen werden

In seinem Buch "Schläge im Namen des Herrn" hat der 52-jährige "Spiegel"-Journalist Peter Wensierski das erschütternde Schicksal von tausenden Kindern und Jugendlichen recherchiert, die während der 1950er und 1960er Jahre in kirchlichen Kinderheimen systematisch misshandelt, geschlagen und gedemütigt wurden.

Erst heute wagen viele Betroffene über die traumatisierenden Erlebnisse von damals zu sprechen. Elke Meister war als Jugendliche fünf Jahre lang in einem katholischen Fürsorgeheim in Dortmund.

Günter Kaindlstorfer: Wenn man Zeitungen liest, scheinen die 1950er Jahre wieder en vogue zu sein. Es dominiert vor allem der sentimentale Blick nach hinten. Stichwort: Wirtschaftswunder, Nierentisch. Wenn man ihr Buch liest, bekommt man das Gefühl: Gar so toll können die 50er Jahre auch nicht gewesen sein.
Peter Wensierski: Sentimentalitäten verklären den Blick. Peter Kraus und Hula Hoop waren damals nicht in der gesamten Gesellschaft der Mainstream. In Österreich und Deutschland gab es einen ziemlichen Riss in der Gesellschaft, einen sehr konservativen Block, der an alten Werten festhalten wollte, an Zucht und Ordnung.

Und der Großteil der Jugendlichen wollte aufbrechen in eine neue Gesellschaft - mit neuer Musik, neuer Kultur, neuer Kleidung. Die galten sehr schnell als verwahrlost, weil sie von den Lehrern, von den Nachbarn denunziert wurden und die Eltern damit nicht klar kamen. Dann bekamen gerade die Kinder der Alleinerziehenden so genannte Vormünder und die kamen dann jede Woche, um den Lebenswandel der Kinder zu kontrollieren.

Da gerieten Tausende sehr schnell in den Blick der Jugendämter und Vormundschaftsrichter. Und viele wurden von einem Tag auf den anderen in Erziehungsheime eingewiesen. Hunderttausende kamen in Erziehungsheime, weil ihnen der Staat eine bessere Erziehung zu Zucht und Ordnung zukommen lassen worden.

Frau Meister, Sie waren von diesem Schicksal betroffen, Sie waren in einem Heim in Dortmund. Wie kamen Sie dort hin?
Elke Meister: Weil ich dem gefolgt bin, was vorgemacht wurde, zum Beispiel Peter Kraus. Das hört sich heute so schön an, so nostalgisch. Aber weil wir das damals mitgemacht haben, galten wir als verwahrlost, weil wir Nietenhosen getragen haben und Petticoat.

Wie alt waren Sie damals?
16 Jahre alt.

Wie kam es, dass Sie gleich in ein Erziehungsheim gekommen sind?
Das kann ich mir bis heute nicht erklären, weil ich nie straffällig geworden bin. Meine Mutter war allein erziehend, hatte nach den Kriegsjahren keine Kraft mehr, sich dagegen zu wehren und dann kamen wir in diese Heime.

Wie wurden Sie dort behandelt?
Es gab dort eine sehr kalte Atmosphäre. Wir mussten ständig schweigen. Und hart arbeiten, wofür wir kein Geld bekamen. Wir wurden ständig gedemütigt, uns wurde ständig gesagt, was für schlimme Menschen wir sind, als wären wir Dreck aus der Gosse. Dabei waren die meisten Mädchen, die ich in den Jahren kennen gelernt habe, wirklich ganz normale Mädchen. Das Schlimmste war, dass sie einen Freund hatten mit 15, 16, 17 Jahren.

Herr Wensierski, Sie bringen in Ihrem Buch viele Fallbeispiele von körperlicher Gewalt gegen die Zöglinge in diesen Heimen. Wie war diese körperliche Gewalt, da gab es ja ein breites Repertoire an Misshandlungsformen?
Wensierski: Ja, es war so, dass die Kinder massenhaft in diesen Heimen verschwanden, allein in Westdeutschland gab es 3.000 solcher Heime mit weit über 220.000 Plätzen. 80 Prozent der Heime waren in kirchlicher Hand. Dort hat man ganz stark nach ganz alten Erziehungsvorstellungen die Kinder hart angepackt. Das eine war die Arbeit, das andere war die Erziehung durch Strafe.

Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf schlimme Dinge gestoßen. Leute haben mir, übereinstimmend aus den verschiedensten Heimen, über das Einsperren in Bunkern oder Dachböden berichtet, tagelang, wie ein Gefangener. Das hat bei vielen lebenslange Spuren hinterlassen. Sie wurden vor anderen gedemütigt und erniedrigt. Bettnässer mussten sich mit dem Laken hinstellen und warten, bis er trocken war und alle durften an ihnen vorbei ziehen. In anderen Fällen durften sogar andere Kinder diese Kinder verspotten und verprügeln, wenn sie mit ihren eingenässten Laken durch eine Gasse der Kinder laufen mussten.

Es gab Strafen wie auf Holzscheiten Knien und Beten. Oder Kniebeugen Machen mit Bibeln auf den Händen und wenn die 'runterfielen, wurde mit Stücken auf die Hände geschlagen. Es gibt wirklich Szenen, die an Folter grenzen, die da stattgefunden haben. Es war außer Kontrolle, die staatlichen Stellen haben diese Heime nicht genügend kontrolliert. Kinder waren denen ausgeliefert. Und den Beschwerden der Kinder wurde kein Glauben geschenkt.

Es scheinen hier pädagogische Prinzipien der Nazizeit nachgewirkt zu haben, ob jetzt in staatlichen oder kirchlichen Heimen, die Mehrzahl der Erzieher wurde während der NS-Zeit ausgebildet ...
Das ist so gewesen. In den 1950er Jahren, bis Mitte der 1960er Jahre, hatte es sich meistens um alte Erzieher gehandelt, die ihr Handwerk in der Nazizeit gelernt hatten. Es gab keine Entnazifizierungen. Ich habe bei den Recherchen auch bei den Nonnen und Brüdern das Gefühl gehabt, die haben die Nazizeit auch nicht aufgearbeitet, ihre eigene Verstrickung in Euthanasie und Sterilisation, was ja vorgekommen ist. Sie haben mit verkniffenem Mund weitergemacht wie bisher.

Das ist in Deutschland erst Ende der 1960er Jahre aufgebrochen, mit der 68er-Bewegung, der Heimcampagne, neuen Erziehern, die in den 1960er Jahren ausgebildet worden sind. Da hat sich im Laufe der 1970er Jahre vieles in den Heimen geändert.

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung "Von Tag zu Tag" vom Donnerstag, 17. August 2006, 14:05 Uhr zum Thema "Schläge im Namen des Herrn" nach Ende der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Peter Wensierski, "Schläge im Namen des Herrn - Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik", Deutsche Verlags-Anstalt, ISBN 342105892X

Link
Verein ehemaliger Heimkinder