Die Idee kam bei Nacht
Keine "Endzeit" für Thomas Glavinic
Sein Roman "Die Arbeit der Nacht", eine Endzeitparabel, hat fulminant eingeschlagen, der Hanser Verlag bereitet bereits die 4. Auflage vor. Die größte Herausforderung war für Thomas Glavinic, sich inhaltlich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen.
8. April 2017, 21:58
"Meine besten Bücher sind die, die am authentischsten sind."
Wenn man anfängt, ein Buch zu schreiben, denkt man an alles, nur nicht an Erfolg oder Misserfolg. Thomas Glavinic ging es zunächst einmal darum, "die Vision zu verwirklichen, diese einsame, leere Welt und ein Mensch, der da durch läuft".
In dem Roman "Die Arbeit der Nacht" geht es um einen jungen Mann, Jonas, der eines Morgens in Wien erwacht und feststellt, dass die Stadt entvölkert ist. Alle Menschen und alle Tiere sind verschwunden, er ist das einzige Lebewesen weit und breit.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Die Angst, allein zu sein
Wie mit seinen vorigen drei Romanen ist Thomas Glavinic mit "Die Arbeit der Nacht" ein spannendes Buch gelungen. "Ich darf meinen Lesern schon einmal etwas zumuten, was ihnen formal und inhaltlich nahe geht, aber ich will sie nicht mit Langeweile quälen. Ich möchte Bücher schreiben, die ich selbst gerne lesen würde", so Glavinic.
"Die größte Herausforderung war einerseits, mich inhaltlich mit meinen Ängsten auseinanderzusetzen, die ja das Buch neben den Motiven Einsamkeit und Liebe dominieren, und auf der anderen Seite die handwerkliche Herausforderung, einen einzigen Menschen zu begleiten, um aus seiner Sicht schreiben zu können, keinerlei Interaktion zulassen zu dürfen und doch nicht in Monotonie zu verfallen."
Die Angst, aufzuwachen und allein zu sein, kannte Glavinic schon bevor er das Buch geschrieben hat. Diese Art von Einsamkeit kenne aber jeder Mensch, meint Glavinic. Die Idee zu diesem Buch im Speziellen verdankt er aber der Wiener Brigittenauer Lände: "Die Idee zu dem Buch kam mir in einer Nacht, in der ich beim Fenster rausgesehen habe und festgestellt habe, dass die sonst so stark befahrene Straße vor meinem Haus leer ist. Da war plötzlich nichts und niemand. Das war der Moment, in dem ich mir dachte: Das ist eigentlich ein ganz starkes literarisches Motiv."
Plagiatsvorwürfe
Von vielen Seiten wird Thomas Glavinic vorgeworfen, sein Endzeitszenario von Marlen Haushofer "abgekupfert" zu haben. Dass "Die Wand" so was wie ein Vorläufer seines Buches war, wusste er allerdings gar nicht, er hat das Buch nicht gelesen. Ähnlichkeiten finden sich auch mit Herbert Rosendorfers "Großes Solo für Anton", das er ebenfalls nicht kannte. Bis eines Tages Rosendorfer selbst Kontakt mit ihm aufnahm.
"Ich habe die Gelegenheit genützt und ihn wegen meinem Buch gefragt", erzählt Glavinic. "Zwei Tage später kam die Antwort: 'Lieber Herr Glavinic, bitte schreiben Sie Ihren Roman unbedingt weiter, ich war auch nicht der Erste, dem das eingefallen ist.' Er hat mir vier oder fünf Vorläufer genannt, Bücher, die dieses Thema auf die eine oder andere Art behandeln, und hat mir geraten, ich soll weder seines noch eines der anderen lesen, bevor ich mit meinem fertig bin." Rosendorfer hat er nach der Fertigstellung dann gelesen, "Die Wand" noch immer nicht.
Selbstzweifel als Grundtugend
Glavinic gehört zu den wenigen Menschen, die sehr offen über ihre Ängste sprechen. "Ich bin schon ein sehr angstdominierter Mensch", bekennt Glavinic, "allerdings habe ich gelernt damit umzugehen." Besonders beängstigend findet er das Daliegen in der Dunkelheit, deswegen bleibt das Licht über Nacht eingeschaltet.
Auch die Angst, nicht gut genug zu sein, beschäftigt ihn sehr. "Ich habe immer Angst, ich zweifle an mir in jeder Hinsicht. Ich glaube, Selbstzweifel sind die Grundtugend des Erzählers, des Künstlers an sich", findet Glavinic. "Ich habe große Selbstzweifel auch meiner Persönlichkeit gegenüber und hoffe, dass ich auch ein 'besserer Mensch' werde im Rahmen dessen, was ich sein kann, was ich bin und noch werden kann."
Erzählen wieder erlaubt
Mit Daniel Kehlmann oder Eva Menasse und eben auch Thomas Glavinic hat das Erzählen wieder Eingang in die österreichische Literatur gefunden. Welche Rolle spielt das Erzählen für Thomas Glavinic? "Ich glaube, in der ganzen Welt war immer Erzählen erlaubt, hier in Österreich gab's eine Art Erzählverbot. Ich glaube, dass Erzählen die allerbeste Möglichkeit ist, auf die Wirklichkeit zu antworten, zu reagieren", findet Glavinic.
Von politischem Engagement hält Glavinic - im Gegensatz zu vielen anderen Autoren - nicht viel: "Ich habe so einen Widerwillen gegen Tagespolitik, dass ich keine Lust habe, hinzugehen und jemanden zu legitimieren, von dem ich nicht das Gefühl habe, dass ich von ihm vertreten werde. Ich gehe daher nicht zu Wahlen." Was nicht heißen soll, dass er die Regierungsform der Demokratie nicht schätzt.
Und wie sieht es mit neuen Projekten aus? Gibt es schon neue Ideen, neue Konzepte? Eines weiß Thomas Glavinic zumindest schon: "Es wird vermutlich ein ähnlich umfangreiches Buch wie 'Die Arbeit der Nacht'."
Mehr zu Thomas Glavinic in oe1.ORF.at
Die Arbeit der Nacht
Adios Amigos!
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung "Von Tag zu Tag" vom 16. August 2006 nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Thomas Glavinic, "Die Arbeit der Nacht, Hanser Verlag, ISBN 3446207627