Autoren im Exil

Integration geglückt. Oder nicht?

Wie fühlen sich junge Einwanderer? In die Fremde geschleudert? Oder doch eher in Sicherheit? Ein Tunesier, ein Marokkaner, eine Algerierin und eine Iranerin haben ihre Integration in ihrem Gastland Schweden aufgeschrieben. Für uns. Zum Miterleben.

Vier junge Autoren, die fern ihrer Heimat zu schreiben begonnen haben. Die vom Heimisch-Werden in der Fremde erzählen. Von den Missverständnissen, dem Neubeginn, dem Gefühlschaos, den Abwehrmaßnahmen, den kleinen und großen Verletzungen der Seele. Mit Humor, mit Verständnis, mit Heimweh und mit Wut im Bauch.

Unverstandene Jugendliche

Halim, der 15-jährige Libanese, der in Stockholm lebt und den marokkanischen König Hassan II. verehrt, hat viel Wut im Bauch. Er fühlt sich schlecht behandelt und unverstanden. Er bekritzelt die Klowände in der Schule mit Halbmond und Sternen, weil der Muttersprachenunterricht gestrichen wurde. Er klaut, provoziert seine Lehrer und Klassenkameraden, hält seinen Vater und dessen Freund Nourdine, einen arbeitslosen Schauspieler, für Verräter an der arabischen Sache. Besorgt sich sogar eine Waffe. Und schreibt alles, was er tagsüber erlebt, in ein dickes rotes Notizbuch, das mit dem Halbmond und dem Stern geschmückt ist. Und zwar auf "Kanaken-Schwedisch". Weil man ihm ja auch seine Sprache gestohlen hat. Ihn zum "Kamel ohne Höcker" machen will.

Das kann Halim nicht zulassen, weil er ja seiner alten, arabischen Freundin Dalanda versprochen hat, nicht so zu werden wie ihr Mann. Sehr nachvollziehbar zeichnet der Autor Jonas Hassen Khemiri, der in Stockholm geborene Sohn einer Schwedin und eines Tunesiers, den jungen Halim - und gönnt sich selbst gegen Ende des längst zum Kultbuch gewordenen Romans einen Auftritt: Er zieht in der Wohnung gegenüber von Halim und seinem Vater ein.

Leider eine Tochter

Etwa gleich alt wie Halim ist Doria, die sich in der "Pariser Bronx" zu behaupten versucht. Sie versteht nicht, dass ihre Mutter es sich gefallen lässt, von allen Fatma genannt zu werden, obwohl sie doch Yasmina heißt. Aber sie versteht sehr wohl, warum ihre arroganten Klassenkameradinnen sie links liegen lassen: weil sie sich keine Klamotten in den Galeries Lafayettes kaufen kann.

Sie hasst es, wenn die so gepflegt daherstelzenden Sozialarbeiterinnen sie fragen, ob sie ihren Vater vermisse. Natürlich nicht, antwortet Doria im Brustton der Überzeugung. Weil er abgehauen ist. Weil er sie mitsamt ihrer Mutter in diesem Schlamassel zurückgelassen hat. Und warum? Weil das Kind eine Tochter und kein Sohn geworden ist. "Paradiesische Aussichten" von Faiza Guene, der Französin algerischer Abstammung, ist trotzdem keine bösartige Abrechnung geworden, sondern ein fast fröhliches Nachdenken über den Zusammenstoß unterschiedlicher Kulturen.

Im "Schnitzelparadies"

Ähnlich "Das persische Cafe" von Marsha Mehran: Gespickt mit persischen Rezepten erzählt die Autorin, der gemeinsam mit ihren Eltern am Vorabend des Umsturzes die Flucht aus dem Iran gelungen ist, von drei Schwestern. Ihnen ist es geglückt, in einem Städtchen an der irischen Küste neu anzufangen. Sie haben ein persisches Café eröffnet, das sehr schnell das Leben in der kleinen Stadt polarisiert. Zwischen den Ereignissen um den intriganten Konkurrenten und seinem in die jüngste Schwester verliebten Sohn erfährt man in homöopathischen Dosen vom Leben im neuen, fundamentalistischen Iran und warum die Schwestern fliehen mussten.

Im Erstlingsroman des in Marokko geborenen Niederländers Khalid Boudou spielt ebenfalls Essen eine große Rolle: Der im selben marokkanischen Städtchen wie Kqhalid Boudou geborene 19-Jährige mit dem russischen Namen Nordip will endlich sein Leben in den Griff kriegen und verdingt sich im "Blauen Geier", einem Restaurant, dem "Schnitzelparadies", als Tellerwäscher-Praktikant. Und mischt die ganze bunte Belegschaft gehörig auf. Und zeichnet ein humorvolles Bild von den multikulturellen Niederländern - freilich entstand das Buch drei Jahre, bevor Theo van Gogh ermordet wurde und die Stimmung gegenüber Ausländern merklich kälter wurde.

Lassen Sie uns davon ausgehen, dass die geschilderten Erlebnisse authentisch sind. Selbst erlebt, oder von Freunden oder deren Freunden. Dass also in den Romanen der jungen Einwanderer ein Bild der Wirklichkeit steckt. Dann könnte uns - vielleicht - ein Licht über Integrationszwang, Integrationsverweigerung, Radikalisierung und so weiter aufgehen, falls wir genau genug lesen. Und darüber nachdenken wollen.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 17. August 2006, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Jonas Hassen Khemiri, "Das Kamel ohne Höcker", Piper Verlag, ISBN 3492048196

Faiza Guene, "Paradiesische Aussichten", Ullstein Verlag, ISBN 3548263496

Marsha Mehran, "Das persische Cafe. Roman mit Rezepten", Limes Verlag, ISBN 3809025011

Kahlid Boudou, "Lehrjahre im Schnitzelparadies", Blessing Verlag, ISBN 3896672045