Hans Holleins Leistungsschau heimischer Baukunst

Österreichische Architektur in China

Die von Hans Hollein kuratierte Schau in Peking und Guangzhou zeigt heimische Architektur von der Gotik bis in die Gegenwart. Der österreichische Architekt über die Ausstellung, den Bauboom in China und die architektonischen Herausforderungen der Zukunft.

Gerhard Roßka im Treffpunkt Kultur über die Ausstellung

Die Schau "Sculptural Architecture" ist eine von zehn internationalen Ausstellungen des National Art Museum Of China (NAMOK) im Jahr und dauert noch bis 23. August. Kurator Hans Hollein liefert darin - als "bauender, planender und denkender Architekt" - einen Überblick über die "zweckfreie Architektur" von der Gotik über Barock, Moderne, Zwischenkriegszeit und die 1960er Jahre. Einen Schwerpunkt bilden die Werke aktueller Architekten; große und zum Teil extra angefertigte Modelle, von der Decke hängende Zeichnungen und Fotos präsentieren Objekte von fünfzig Architekten(teams).

APA: Sie haben zum zweiten Mal nach 2001 eine künstlerische Architekturausstellung in China kuratiert. Wie lange war denn die Vorlaufzeit, und sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Hans Hollein: Wir sind sehr zufrieden mit der Ausstellung. Es ist alles so heraus gekommen, wie wir es gewollt haben, obwohl es nicht ganz einfach ist, in China eine Ausstellung zu machen - nicht zuletzt vom Sprachlichen her. Das grundsätzliche Konzept dazu ist im Herbst letzten Jahres entstanden, aber die weitere Entscheidungsfindung und die Verträge haben sich bis in den Juni dieses Jahres hingezogen. Die Arbeit hat aber natürlich nicht erst im Juni begonnen.

Hier im National Art Museum of China (NAMOC) in Peking ist quasi alles vertreten, was in der österreichischen Architektur Rang und Namen hat. Bieten Sie so etwas wie einen roten Faden durch die heimische Architekturgeschichte?
Also grundsätzlich wollte ich mit "Sculptural Architecture" zeigen, dass Österreich heute eine sehr lebendige Szene hat. Wenn man vergleicht, wie viele interessante und gute Architekten es etwa in Österreich gibt und in Deutschland, ist das sehr bemerkenswert. Österreich ist führend in Bezug auf eine neue Idee in der Architektur - zwar funktionell, aber auch als Zeichen, als Gestalt, als freie Form.

Das hat einen gewissen historischen Hintergrund - für die Gotik ist etwa der Stephansdom ein gutes Beispiel: Auf der einen Seite die Versammlungshalle, und der Turm ist nichts anderes als ein zweckfreies, skulpturales Objekt. Die Ausstellung wandert danach durch die räumlich komplexe Architektur im Barock, widmet sich dem internationalen Durchbruch in der Moderne und wirft dann einen Blick in die Zwischenkriegszeit. Danach kommt dann schon der Eingang in die Jetztzeit, die "Visionary Architecture" der 1960er Jahre. Daraus ist eine Wiener und dann auch Grazer Szene entstanden, die bis heute kontinuierlichen Nachwuchs hat - sehr spontan, individuell und durchaus global beachtet. Ob nun die Prominenz der österreichischen Architekturszene hier vertreten ist - in gewisser Weise ja, sicher aber mit einem Schwerpunkt auf dem Thema.

Warum nun eine Ausstellung zur österreichischen Architektur im Ausland?
Man muss sagen, dass diese österreichische Prominenz, von der wir hier reden, in Österreich selbst nicht sehr viel tut und größtenteils - inklusive der jüngsten Generation - im Ausland eher zum Zuge kommt. Der Aspekt dieser Ausstellung ist daher natürlich schon, dass man China mit diesem kreativen Potenzial vertraut macht. Hier ist jetzt ein Markt - man kann es ohne weiteres so nennen - und es soll hier auf die dominierenden und wichtigen Institutionen und Architekten aufmerksam gemacht werden.

Ist China das Experimentierfeld für jene architektonischen Dinge, die in Österreich (noch) nicht möglich sind?
Also Experimentierfeld ist die Frage - in China wird wenig experimentiert, es gibt eben seit rund einem Dezennium einen irrsinnigen Bauboom, wie Sie selbst sehen, wo einige wirklich sehr interessante Gebäude entstanden sind - sowohl von Chinesen als auch von Leuten von außerhalb. Aber eine junge progressive Szene hat sich im Land selbst noch nicht gebildet, darum hoffen wir, dass da ein Dialog zu Stande kommt.

Daher auch der Ausstellungsteil mit den Einfamilienhäusern?
Genau, das sind Häuser von jungen Architekten in Österreich - also ein Signal, das österreichische Potenzial zu zeigen. Aber es ist nicht eine Wirtschaftskammer-Ausstellung, die der Herr Leitl eröffnet - es ist eine Kulturausstellung in einem Kunstmuseum, es geht um Architektur und Kunst, was ja in China ein neuer Aspekt ist. Wir haben 2001 im Shanghai Art Museum eine Ausstellung zu "Austrian Art, Architecture and Design" gemacht - da war noch die Diskussion, ob Architektur Kunst sei. Es ist uns aber gelungen, die Verantwortlichen damals zu überzeugen - und der Direktor des Museums hat eineinhalb Jahre später dann sogar eine Architekturbiennale veranstaltet.

Stichwort "form follows function".
Schauen Sie, ich sehe keine Grenzlinien zwischen Architektur und Design oder Architektur und Innenarchitektur oder architectural and urban design, also Städtebau. Meiner Ansicht nach sieht man das auch an der jüngeren Generation. Um was es dabei geht, ist, dass es immer auch eine zweckfreie Komponente in der Architektur gibt - siehe Stephansturm. Die Funktion muss zwar vom Objekt klarerweise erfüllt werden, aber es stecken auch andere Überlegungen dahinter - wie etwa bei der BMW-Welt von Coop Himmelb(l)au oder meinen Museumsbauten. Da gibt es volumetrische Gedanken, städtebauliche, es geht um die Integration eines Gebäudes in die Umwelt und eine historische Situation. Es ist also nicht "form follows function", sondern durchaus auch "form as function".

Stichwort "Architektur als Mittel zur Erhaltung der Körpertemperatur".
Meiner Ansicht nach - sehr abgekürzt gesprochen - gibt es zwei Definitionen für die Architektur. Einerseits ist die Architektur ein Mittel zur Erhaltung der Körperwärme, ob das jetzt für afrikanische Palmenzweigbauten oder Iglus gilt, ist egal. Andererseits ist Architektur eben auch etwas Rituelles, das mit Bildhaftigkeit zu tun hat. Dazwischen bewegt sich die Architektur in den letzten zwei- bis dreitausend Jahren. Aber Architekten sollten sowieso aufhören, nur in Bauten zu denken - ich denke da an "non-physical architecture".

Architektur als ungebrochener Glauben an den Fortschritt?
Ich würde das nicht Fortschrittsglauben nennen. Durch gewisse Dinge des Komforts habe ich zum Beispiel durchaus Einbußen in der Landschaft, da muss man abwägen, aber Fortschritt muss nicht unbedingt nur Zerstörung bedeuten. Es geht hier um eine natürliche Transformation - natürlich sollte man alte Dinge erhalten, aber es sollte auch in Bezug zu diesem Alten Neues seinen Platz finden.

Wie sieht der Städtebau der Zukunft aus - speziell hier in China?
Wir haben das in der Ausstellung nur kurz angedeutet mit einem Modell von Roland Rainer, das geht es um die flache Bebauung einer Stadt. Wir sind in Wien diesbezüglich sehr bevorzugt, schließlich hat die Stadt jetzt weniger Einwohner als 1910. Aber hier ist das anders: Peking und Shanghai bewegen sich in die Richtung von Mexiko City, da ist es notwendig, dass man größere Dichte erzeugt - das bedeutet eben Wohnen im Hochhaus. Da hat es in Wien ja immer große Ablehnung gegeben, aber Wien ist ja wirklich eine glückliche Stadt. Alle anderen Städte explodieren, und bald werden rund 70 Prozent der Gesamtbevölkerung in Städten wohnen. Das wird eine große Herausforderung für die Gesellschaft: eine kompaktere Stadt mit größerer Dichte. Wien ist aber in dieser Hinsicht wirklich eine privilegierte Stadt.

Apropos Wien, wird die Ausstellung auch in Wien zu sehen sein?
Nein, die haben wir sehr speziell für China gemacht. Gewisse Sachen sind in Österreich bekannt, und man ist bewusst davon ausgegangen, dass die Schau nicht in Österreich zu sehen sein wird. Sonst hätte man das in einer ganz anderen Form aufbereiten müssen - und auch nicht als Ausstellung. Da hätte man besser jeden Tag einen Treffpunkt und fährt mit dem Bus zu den einzelnen Gebäuden. Dann schaut man sich das Ganze in der dreidimensionalen Realität an, das wäre viel gescheiter.

Mehr dazu in Ö1 Inforadio

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Sculptural Architecture in Austria", Samstag, 5. August bis Mittwoch, 23. August 2006, National Art Museum of China (NAMOC), Peking

Buch-Tipp
Bundeskanzleramt, Hans Hollein (Hg.), "Sculptural Architecture in Austria", ISBN 3702505458

Link
tv.ORF.at - Treffpunkt Kultur
Verlag Anton Pustet - Sculptural Architecture in Austria
nextroom - Raimund Abraham
NAMOC
Hans Hollein
Coop Himmelb(l)au
Baumschlager und Eberle