Trotz Aufschwung EU-Beitritt 2009 fraglich

Kroatien in der EU-Warteschleife

Trotz steigendem Wirtschaftswachstum gilt der geplante EU-Beitritt Kroatiens im Jahr 2009 noch nicht als gesichert. Neben struktureller Probleme und Korruption gibt es nach wie vor hohe Arbeitslosenraten und ein zu hohes Handelsbilanzdefizit.

Goran Radman zur kroatischen Wirtschaft

Obwohl Kroatiens Wirtschaft schon seit Jahren stetig wächst und die Exporte steigen, gibt es für den südosteuropäischen Staat noch viel zu tun, um EU-tauglich zu werden.

Derzeitiges Aushängeschild ist der Tourismus, der mit fast 25 Prozent Anteil der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes ist. Die Modernisierung der Industrie hingegen ist weit zurückgeblieben. Auch die Korruption wuchert nach wie vor, und die notwendigen Reformen sind bisher von der Regierung verschleppt worden. Daher gilt ein EU-Beitritt 2009 eher als Wunschvorstellung, denn als fix.

Keine klare Wirtschafts-Strategie

"Im Gegensatz zu vielen anderen Reformländern hat Kroatien die Gelegenheit zur Industrialisierung zu Beginn der 1990er Jahre verpasst. Durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und auch durch die Privatisierung der staatlichen Fabriken ist unsere Industrie praktisch zusammengebrochen. Zu uns sind auch viel weniger Auslandsinvestitionen geflossen“, sagt der Kroate Goran Radman, einer der führenden Microsoft-Manager für Südosteuropa.

Nach seinen Worten ist derzeit von der Regierung keine klare Wirtschafts-Strategie erkennbar. Auch den Zug in Richtung forschungs- und entwicklungsintensiver Industrie habe das Land verpasst, so der Microsoft-Manager. Eine Verbesserung des derzeitigen Status quo sieht er künftig im Dienstleistungssektor, in der Schaffung vieler Klein- und Mittelbetriebe, im Agrarbereich und vor allem im Qualitätstourismus.

Kroatien - das Mittelmeer, wie es einmal war

Das ist heuer der Leitspruch der Kroatien-Werbung. Doch auch wenn das Meer, Land und Leute laut Werbung so bleiben sollen, wie sie angeblich schon immer waren: Der kroatische Tourismus soll sich ändern. Dies meint auch Tourismus-Staatssekretär Zdenko Micic: "Wir möchten auf mehr Qualität setzen. Wir wollen keine Billig-Destination mehr sein wie vor 20 Jahren, als wir eine Massen-Destination mit sehr niedrigen Preisen, aber auch niedrigen Service-Standards waren“.

Derzeit verzeichnet der kroatische Tourismus jährliche satte Zuwachsraten. Stolze 25 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung bringt dieser wichtigste Zweig der kroatischen Wirtschaft heute ein. Beliebtestes Reiseziel ist natürlich die schöne und abwechslungsreiche Küste Istriens und Dalmatiens. Auch für heuer rechnen kroatische Touristiker mit mehr als 52 Millionen Nächtigungen.

Trotz Wachstum viele ungelöste Probleme

Doch nicht nur dem Tourismus geht es immer besser. Die kroatische Wirtschaft insgesamt wächst. Und das seit Jahren. Auch heuer wird das Wachstum wieder rund vier Prozent betragen. Die Inflationsrate beträgt gleichbleibend etwa zweieinhalb Prozent; auch die Exporte steigen. Dennoch wird die anhaltende Aufwärtsentwicklung von einigen Faktoren getrübt ...

Die Arbeitslosenrate ist mit 13 Prozent recht hoch, ebenso das Handelsbilanzdefizit mit etwa einer Milliarde Euro. Dazu kommen strukturelle Probleme: Der Staat mischt sich noch immer stark in die Wirtschaft ein. Die Privatisierung könnte schneller vorangehen. Die Landwirtschaft müsste modernisiert werden. Die Subventionen für die Stahlindustrie und die Schiffswerften müssten aufhören, sobald Kroatien in der EU ist. Und vor allem die überbordende Korruption müsste in den Griff bekommen werden. Jeder Kroate weiß, dass gewisse Dienstleistungen, die eigentlich selbstverständlich sind, Geld kosten - wie zum Beispiel ein Grundbucheintrag. Die Regierung möchte zwar die Korruption in Kroatien ausrotten, konnte sich bis jetzt aber gegen die Beamtenschaft nicht wirklich durchsetzen.

Heimatmarkt für Österreichs Firmen

Genau diese Probleme im Justizsystem und in der Verwaltung haben viele ausländische Investoren bis jetzt davon abgehalten, in Kroatien zu investieren. Viele - aber viele auch nicht, wie vor allem Österreich. Denn mit mehr als 28 Prozent aller ausländischen Investitionen in Kroatien liegt unser Land bisher unumstritten auf dem ersten Platz. Seit 1993 wurden nicht weniger als 3,2 Milliarden Euro investiert.

Österreichische Firmen sehen Kroatien als eine Art erweiterten Heimatmarkt an. Besonders stark sind die Österreicher im Bankensektor, in der Baubranche, bei den Umweltdienstleistungen und in der Telekommunikation vertreten. Auch Filialen bekannter heimischer Lebensmittelketten oder Unterwäsche-Firmen findet man im schmucken Zagreber Zentrum an jeder Straßenecke. Derzeit konzentriert sich das Interesse österreichischer Anleger vor allem auf Immobilien und auf den Tourismus-Sektor. Allein entlang der Küste sind laut Handelsdelegiertem Projekte im Wert von eineinhalb Milliarden Euro in Vorbereitung.

Mehr ausländische Fabriken

Die kroatische Regierung beklagt nicht selten, dass sich die ausländischen Investitionen zu sehr auf den Finanzsektor konzentrieren. Mittlerweile sind fast alle Banken in ausländischer Hand. Die Regierung würde es lieber sehen, wenn mehr ausländisches Geld in den Bau von Fabriken flösse. Dadurch würden viele Arbeitsplätze geschaffen und der Export angekurbelt.

Das Land brauche derartige Investitionen, denn die Budgetbelastung sei durch den Balkan-Krieg noch immer schwer belastet, sagt Ministerpräsident Ivo Sanader: "Eine Milliarde Euro pro Jahr kostet das. Dieses Geld fehle bei der Entwicklung des Landes.

EU-Perspektiven

Goran Radman von Microsoft Südosteuropa ist hinsichtlich EU-Perspektiven für Kroatiens Wirtschaft jedenfalls eher skeptisch, wenn er meint:

"In politischer Hinsicht werden wir in zwei bis drei Jahren wahrscheinlich EU-reif sein. In wirtschaftlicher Hinsicht glaube ich das nicht. Dennoch - wenn Sie mich heute fragen, ob es besser ist, wir treten bei, obwohl wir auf dem europäischen Markt noch nicht bestehen können, oder ob wir lieber noch warten sollen, dann würde ich mich, glaube ich, für die politische Vereinigung entscheiden. Denn auch durch die Disziplinierung der Politik durch die europäischen Regeln und Gesetze kann die kroatische Wirtschaft stärker werden".

Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 4. August 2006, 9:45 Uhr

Download-Tipp
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Links
EU-Kommission - Beziehungen zu Kroatien
WKO - Außenhandelsstelle Zagreb
Wikipedia - Kroatien
Kroatische Tourismuszentrale