Seelenleid aus Holz
Aber das Pferd!
Weniges ist so einfallsreich wie Depressionen. Werden sie abgewehrt, kommen sie mit einem neuen Trick. Hat man sie oft genug abgewehrt, sind sie auf ewig immun. Eine der besten, beliebtesten Zivilisationskrankheiten unter der Lupe eines Betroffenen.
8. April 2017, 21:58
Bald wird es wieder einmal vorbei sein. Vielleicht. Die Guten werden die Bösen besiegt haben und die Bösen die Guten. Holadrio. Bis dahin gelten unsere Kopfschmerzen der Zivilbevölkerung im Libanon oder in Israel. Besonders Wissbegierige haben noch ein paar afrikanische Staaten als viel dringlicher zu beklagen in petto oder Tsunamiopfer oder Gefangenenlagerinsassen oder sich selbst.
Ich habe Kopfschmerzen. Eigentlich kommt das von den Depressionen. Vor exakt sieben Jahren war ich bei einer Ärztin, die mir den Verzehr von Salami und französischem Weichkäse nahe legte sowie lange Fußmärsche, da all das der Depression entgegenwirke, letzteres aufgrund irgendwelcher freundlicher Hormone, die in den langen Muskelfasern, zum Beispiel in beiden Oberschenkeln, schlummern und bei intensiver Inanspruchnahme dieser in den ganzen Körper strömen, um schließlich im Gehirn der Depression einzuheizen, bis sie verbrennt, denn sie ist aus Holz.
Insgeheim wusste ich, dass die Depression meine Begleiterin bleiben würde. Wenn äußere Umstände vermuten lassen, dass bessere Zeiten anbrechen, kommt sie und fesselt mich, verklebt mir den Mund mit weltraumerprobtem Klebeband, setzt sich auf meinen Schoß. Die viel versprechenden äußeren Umstände haben dann nichts mehr mitzureden, wir sind wieder unter uns. Einmal waren wir so lange unter uns, dass es mir zu eng wurde und ich eines Morgens, nachdem ich sie mit einer durchwachten Nacht ermüdet hatte, zur akutpsychiatrischen Ambulanz fuhr, sie kniff und fragte, ob sie freiwillig verschwinde. Da erhob sie sich mühsam und nahm wieder, federleicht, ihren Platz im Genick ein.
Natürlich rächt sich eine Depression, die den Namen verdient. Sie taucht in den unmöglichsten Kostümen auf. Die doch immer aus Holz sind und die fette Gestalt eines Pferdes haben. Das Pferd an sich ist ein Sinnbild der Freiheit, der Stärke und des Leberkäses. Einmal zog ich nach Graz. Ich dachte: Ich bin in einer tollen Stadt, alle Wege stehen mir offen, und nun habe ich da auch noch - ein Pferd! Ich stellte es in mein Zimmer und heraus auf meinen Schoß sprang die Depression. Einmal tauchte es auf, als ich mit einer anziehenden Frau an der Ostsee lag. Ich sagte: "Siehst Du das Pferd, es wird uns zu neuen, paradiesischen Ufern bringen". Die Frau sagte: "Ich bin doch schon am paradiesischen Ufer, ich will hier nicht weg". Ich sagte: "Aber das Pferd!"
Vor zwei Wochen kam es abends, nach den Nachrichten. Ich bekam Mitleid mit den Zivilbevölkerungen, den Tsunamiopfern und mit mir selbst. Die Depression sprang aus dem Pferdebauch, richtete vor meinen Augen alle Bemitleideten hin und setzte sich auf meinen Schoß. Ich bekam Druckstellen. Nach einer Woche sagte ich: Wenn Du nicht sofort Deinen riesigen Hintern hebst und verschwindest, nehme ich meine Pistole und schieße damit in meinen Kopf hinein!
Gestern dachte ich, dass ich das Miststück bisher immer besiegt habe. Das machte mich froh. Ich ging in mein übersichtliches Badezimmer, blickte in den Spiegel und sah einen Pferdekopf. Ich setzte mich an den Computer und schrieb: "Bald wird es wieder einmal vorbei sein."