Die Rückkehr einer elementaren Gewalt

Hass

Letztes Jahr auf Französisch erschienen, lautet der Originaltitel von André Glucksmanns aktuellem Buch "Le discours de la haine". Es geht also um den Diskurs, um die Manifestationen, aber auch die Reden und Texte, in denen der Hass auftritt.

Der deutsche Titel von André Glucksmanns aktuellem Buch betont die "Rückkehr" der elementaren Gewalt des Hasses, so als hätte sie für kurze Zeit im Verborgenen gewirkt, während der französische Originaltitel "Le discours de la haine" den Diskurs betont. Was versteht also André Glucksmann unter dem Begriff "Rückkehr des Hasses"?

"Die Rückkehr betrifft die Sichtbarkeit des Hasses - das Phänomen war ja nicht verschwunden, es hat immer existiert", so André Glucksmann. Ich definiere den Hass verschieden vom deutschen Begriff 'Feindlichkeit': Der Hass meint nicht einfach die Überlegenheit, die Verachtung, die größere Stärke gegenüber einem anderen, ja nicht einmal Unterdrückung und Versklavung. Nein, der Hass will die reale Beseitigung des anderen, so wie sie tatsächlich in Vernichtungslagern stattgefunden hat."

Die Wurzel des Hasses

André Glucksmann geht in seinem Buch von drei elementaren Äußerungen des Hasses aus: vom Hass gegen die Juden, vom Hass gegen die Frauen und vom Anti-Amerikanismus. Sicherlich hat der Anti-Amerikanismus bereits seine eigene Geschichte, aber historisch betrachtet ist er die jüngste Ausformung von Hass. Jetzt könnte man meinen, dass sich im Terror islamistischer Fundamentalisten diese drei Formen des Hasse geradezu auf "kreatürliche" Weise verbinden. Doch so einfach ist die Sache bei Glucksmann nicht.

Die eigentliche Wurzel allen Hassens ist nach Meinung von André Glucksmann der Selbsthass, der sich in einem extremen Zerstörungswillen entlädt. Für Glucksmann entäußert sich der Selbsthass im Willen zur absoluten Zerstörung. Allerdings kann man diese Wurzel allen Hassens auch als Mangel beschreiben: Es ist der Zorn, nicht das zu sein, was man sein will, nicht das alles zu haben, was man zu haben wünscht. Diesen Mangel ortet Glucksmann nicht bloß bei jenen französischen Jugendlichen, die Autos anzünden oder bei islamistischen Terrorgruppen, sondern er ist heute weltweit verbreitet.

Anti-Amerikanismus

Die Demonstrationen gegen die Irak-Politik Georges W. Bushs ist für Glucksmann oftmals Ausdruck eines fundamentalen Anti-Amerikanismus. Man begreift die Supermacht USA als Mangel, der besagt, dass man relativ machtlos gegenüber ihrer Politik ist. Gegen Wladimir Putins brutales Vorgehen in Tschetschenien demonstriere aber kaum jemand. Für Glucksmann wird da ein enormes Ungleichgewicht sichtbar, das für ihn Beweis ist für einen undifferenzierten Anti-Amerikanismus. Man muss nicht mit allen Argumenten Glucksmanns einverstanden sein, wer aber seine eigene Einstellung zur Welt-Politik einer kritischen Hinterfragung unterziehen möchte, der wird an Glucksmanns neuem Buch nicht wirklich vorbeikommen.

9/11
Freilich kann und will Glucksmann die Ereignisse vom 11. September 2001 in seinem Buch nicht umgehen. Für ihn bedeutet der Einsturz der beiden Türme des World Trade Centers in Manhattan eine neue Form des Hasses. Das Ende des Zweiten Weltkrieges habe zwei neue Problemfelder des Hasses ans Licht gebracht: Auschwitz als die Fähigkeit einer Gruppe von Menschen, die Humanität zu vernichten, Hiroshima als die Fähigkeit, die Menschheit auszurotten. Jetzt, nach dem 11. September 2001 zeigt sich diese Problematik in einem anderen Licht.

Der Angriff auf die Türme in Manhattan zeigt für André Glucksmann Folgendes: "Man tötet beliebig viele Menschen, das ist der Wille des absoluten Tötens, so wie wir ihn von Auschwitz her kennen. Die Fähigkeit und der Wille zur Auslöschung sind das neue Problemfeld der Philosophie, weil sie bei gewissen Menschen eine gedankliche Einheit bilden. Diese Menschen sind keine Staaten, sie führen keine Kriege, sie verhandeln nicht. Es kann jede Gruppe sein, die den Willen zu Auslöschung realisieren will. Das ist absolut neu und bedarf einer philosophischen Hinterfragung, weil es gerade die Philosophie ist, die das mögliche Ende der Menschheit vor Augen hat."

Globalisierung der Waffen

So bleibt eigentlich nur noch eine Frage übrig: Wie soll man reagieren, als einfacher Staatsbürger, der im Zeitalter der Globalisierung lebt und mitansieht, wie diese "lebenden Bomben" jederzeit und praktisch an jedem Ort der Welt ihren tödlichen Hass realisieren?

"Die Globalisierung betrifft nicht in erster Linie die Wirtschaft oder die Politik, sondern die weltweite Handhabung von Waffen, von der Kalaschnikow bis zu nuklearen Bomben. Das ist der weltweite Hass, der sich als absoluter Wille zur Auslöschung manifestiert. Gegen diesen Hass müssen wir uns zur Wehr setzen."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
André Glucksmann, "Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt", aus dem Französischen übersetzt von Bernd Wilczek und Ulla Varchmin, Verlag Nagel & Kimche, ISBN 3312003601