Recherchen in Wien, Fürstenfeld und Graz

Betteln verboten

Fürstenfeld machte den Anfang, Graz will folgen: Einfach dazusitzen und die Hand aufzuhalten, führt zu polizeilicher Wegweisung. Politiker begründen, warum das so sein muss; Kritiker finden, dass Armut noch kein Grund für Polizeimaßnahmen sein darf.

Meinungen zweier Bettler aus Graz

Immer öfter sind sie zu sehen - in Fußgängerzonen, U-Bahn-Stationen, vor Supermärkten: Menschen, die ihre Hände aufhalten, eine Mütze vor sich auf dem Boden, in der ein paar Centstücke und vielleicht die eine oder andere Euro-Münze liegen. Manche versuchen es, indem sie singend oder spielend ihre Kunst präsentieren.

Bettler können lästig sein, sagen die einen. Sie können aggressiv sein, meinen andere, vor allem wenn sie organisiert auftreten. Aber kann man schwere Armut verbieten?

Lautsprecher gegen das Betteln

Vor allem in der Bundeshauptstadt mehren sich in letzter Zeit die Beschwerden über Bettelei. Erste Maßnahmen wurden bereits gesetzt. So hört man etwa über Lautsprecher in den Wiener U-Bahn-Stationen:

"Sehr geehrte Damen und Herren, viele Fahrgäste fühlen sich durch organisiertes Betteln in der U-Bahn belästigt. Wir bitten Sie, dieser Entwicklung nicht durch aktive Unterstützung Vorschub zu leisten, sondern besser durch Spenden an anerkannte Hilfsorganisationen zu helfen. Sie tragen dadurch zur Durchsetzung des Verbotes von Betteln und Hausieren bei den Wiener Linien bei. Wir danken für ihre Mithilfe."

Thomas Kritzer von der U-Bahn-Betriebsabteilung der Wiener Linien meint dazu, ähnliche Maßnahmen seien im Ausland bereits gang und gäbe. Er meint, dass es hilfreicher sei, bei Hilfsorganisationen zu spenden.

Verschiedene Varianten des Bettelns

Auch die Wiener Polizei verstärkte Anfang Juni dieses Jahres ihre Präsenz an neuralgischen Örtlichkeiten wie Fußgängerzonen, Kirchen oder U-Bahn-Stationen - und zwar sowohl mit uniformiertem, als auch zivilem Personal. Ein Schwerpunkt wurde dabei gegen die organisierte Bettlerszene gesetzt, informiert Major Alexander Schinnerl, Leiter des Referates für Organisation und Dienstbetrieb im Stadtpolizeikommando Innere Stadt, denn:

"Es gibt mehrere Varianten des Bettelns. Eine Form davon ist nicht verboten, das ist das demütige Betteln. Man versteht darunter, dass der Bettler irgendwo sitzt, kniet oder auch nur steht und ganz einfach nur seine Hände entgegenstreckt, ohne Leute zu behindern oder gezielt anzusprechen oder ihnen nachzugehen oder ihren Weg zu verstellen, sondern ganz einfach um milde Gaben bettelt."

Was jedoch unter Strafe gestellt ist, ist das aggressive und aufdringliche Betteln, "also Leuten nachgehen, wenn sie nicht spenden, Leuten den Weg verstellen, sie vielleicht am Gewand zupfen und sie ansprechen", sagt Schinnerl und betont, die gesetzten Maßnahmen dienten nicht nur dem Sicherheitsgefühl der Wiener, sondern vor allem, um festzustellen, wer hinter den organisierten Betteleien stehe. Vermehrtes Augenmerk werde daher auf die so genannten "Aufpasser" und "Abkassierer" gerichtet.

Generelles Bettelverbot in Fürstenfeld

Wer in nicht aufdringlicher Weise wie durch Sitzen und Stehen vor Gebäuden, durch Knien auf Straßen um Geld oder geldwerte Sachen bettelt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

So steht es in der erweiterten Fürstenfelder Verordnung der im Landessicherheitsgesetz von 2005 enthaltenen Bestimmungen, die etwa aggressives und organisiertes Betteln oder das Betteln von Kindern verbieten. Wer sich nicht daran hält, wird mit bis zu 280 Euro bestraft. Das erbettelte Geld wird beschlagnahmt und für verfallen erklärt.

Bis zu hundert Euro - so der Filialleiter einer Hofer-Filiale in Fürstenfeld - hätte ein Einzelner am Tag wohl verdienen können; und überhaupt hätte er Zweifel an der Echtheit der Bettler gehabt: "Die waren mit La-Coste-Leiberln und Adidas-Turnschuhen bekleidet und rauchten um die Ecke Marlborough. Wenn man arm ist, tut man das nicht", meint er.

Motivation für das Inkrafttreten des Bettelverbotes war laut Bürgermeister Werner Gutzwar die Aufdringlichkeit der Bettler. Sie wurde von den Fürstenfeldern als störend empfunden. Außerdem - so Gutzwar - gebe es in seiner Gemeinde so viele soziale Einrichtungen, die Not leidenden Personen sofort vorort helfen: "Wir sind der Ansicht, dass keiner menschenunwürdig auf der Straße betteln muss, denn Bettelei auf der Straße ist keine Lösung, bei der man das Problem an der Wurzel packt".

"Organisiert" gehört hinterfragt

Das Beispiel Fürstenfeld macht jedenfalls Schule. Auch in Graz will man eine ähnliche Verordnung erlassen. Der Pfarrer der Gemeinde St. Vinzenz in Graz, Wolfgang Pucher, den schon jahrelang Vorurteile gegen Bettler beschäftigen, ist aber vehement dagegen:

"Wenn man einen Bettler sieht, muss man sich sehr hüten, zu sagen: der braucht das nicht, der ist organisiert, der missbraucht die Barmherzigkeit. Einem Menschen, der sich im Winter bei Minustemperaturen gezwungen fühlt, in einer öffentlichen Toilette zu schlafen, weil er keinen anderen Platz findet, zu unterstellen, dass er das zum Spaß macht, ist wohl eine sehr perverse Art, mit Menschen umzugehen".

Der Grazer Geistliche meint auch, das Wort "organisiert" gehört hinterfragt: "Wenn sich vier Verwandte aus einer Familie in ein Auto setzen und nach Fürstenfeld kommen, um zu betteln - von jenen zu behaupten, dass sie organisiert sind, weil sie dasselbe Auto benützen, das ist ja lächerlich. Ich habe bis heute noch nie einen Fall erlebt, wo das erbettelte Geld an eine Organisation abgegeben wird. Diese Familie jedenfalls hat das erbettelte Geld nach Hause gebracht und dadurch ihre Sozialhilfe verdoppelt".

Einschränkung der menschlichen Freiheit

Wolfgang Pucher betont auch, es sei eine falsche Annahme, dass man durch das Betteln reich würde:

"Das ist eine Legende. Im Durchschnitt werden pro Tag zwischen fünf und sieben Euro erbettelt". Man suche nur Ausreden, um mit Bettlern so weit wie möglich nichts zu tun zu bekommen. Der Grazer Pfarrer glaubt jedenfalls, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof gegen die derzeitige Bettelverordnung entscheiden wird:

"Man kann nicht alles, was man verbieten möchte auch verbieten. Man kann einem armen Menschen nicht verbieten, sich in einem öffentlichen Raum den Menschen zu zeigen und um Hilfe zu bitten. Das würde eine Einschränkung der menschlichen Freiheit in einem Maße sein, wie es dann ausweitend in viele andere Bereiche ausgedehnt werden könnte".

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 27. Dezember 2006, 18:25 Uhr

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