Ist es möglich, nichts zu tun?

Die Kunst, nichts zu tun

Urlauber, Vielarbeiter, Arbeitslose: Die Wenigsten können nichts tun oder das, was man tut, langsam tun, oder scheinbar unproduktive Dinge tun. Wer davon ein bisschen kann, hat ein schlechtes Gewissen. Psychosomatiker Hans-Joachim Fuchs im Interview.

Hans-Joachim Fuchs über gefährliche Stressfaktoren

Nichts tun oder wenig tun, scheinbar unproduktive Dinge tun, viele Pausen machen, mitten drin aufhören, trödeln, alles liegen und stehen lassen, faulenzen: Wer es ansatzweise tut, wird von schlechtem Wissen geplagt. Ist es möglich, nichts zu tun? Ist es erstrebenswert? Was ist die viel beschworene Kunst, nichts zu tun?

Hans-Joachim Fuchs hat als Arzt und Psychosomatiker mit dem seelischen Leiden jener zu tun, die nicht arbeiten dürfen, die sich wertlos fühlen. Mit ihm sprach Andrea Hauer über die Kunst des richtigen Tun und Nichtstun.

"Jeder Mensch ist wertvoll"

Andrea Hauer: Was hält jemanden davon ab, einfach nichts zu tun?
Hans-Joachim Fuchs: Es ist die Erziehung, die in uns allen wirkt: Dass wir unser Selbstwertgefühl darauf aufbauen, durch unsere Leistungen geschätzt zu werden und dass wir uns am Ende gar nicht mehr vorstellen können, dass uns jemand schätzt, wenn wir nicht gleichzeitig auch etwas leisten. In Wirklichkeit ist jeder Mensch wertvoll, jeder Mensch hat das Recht darauf, dass seine Würde respektiert wird, dass er Anerkennung bekommt, auch wenn er nichts arbeitet.

Die, die vom Arbeitsprozess ausgeschlossen sind, leiden ganz besonders darunter, dass sie diese Anerkennung nicht bekommen. Unter diesem Druck werden viele Menschen krank.

Wenn man Kinder beobachtet, erkennt man, dass sie nie nichts tun können...
Das ist ja auch schlechthin gar nicht möglich, dass man gar nichts tut. Was versteht man unter der Kunst des Nichtstuns? Man versteht darunter Lesen, Reisen, Meditation, Seminare besuchen, Wellness - Philosophie und Religion sind auch enthalten. Nichtstun wird bezogen auf das, was Geld, Anerkennung oder Prestige bringt. Da sind Widersprüchlichkeiten in den Wertesystemen. Es gibt sogar Menschen, die noch alte Wertesysteme pflegen und sagen: Ich bin so gut, ich muss gar nichts tun, ich lasse die anderen arbeiten. Das ist ein feudales Wertesystem, das etwas aus der Mode gekommen ist. Heute sagen die Menschen: Ich bin so gut, weil ich so viel arbeite. Beides ist sehr subjektiv und ob das eine wahr ist oder das andere, möchte ich nicht beurteilen.

Wie definieren sie Nichtstun?
Nichtstun ist das nach belieben sich verhalten, die Freiheit genießen, Aktivitäten selbst zu gestalten. Das ist die Freiheit, die wir in der Freizeit haben. Ich glaube, dass unser Begriff von Arbeit der Wirklichkeit nachhinkt. Wer wirklich sehr viel arbeiten möchte, der muss auch sehr viel nicht tun können, da unsere Arbeit eine ganz andere ist als vielleicht noch vor 20 Jahren. Wir haben semantische Arbeit, begriffliche Arbeit, Computerarbeit. Wir sind davon abhängig, dass wir uns konzentrieren können, das uns etwas einfällt. Dazu müssen wir die nötige Gelassenheit haben. Idealerweise ist die Arbeit etwas, was man wirklich gerne tut, wo man einen Gewinn verspürt. Diesen Zustand genießen aber leider bislang nicht allzu viele Menschen.

Wer viel arbeitet, muss viel nichts tun. Wie tun sie das als Arzt?
Durch viele kleine Pausen, wo ich mich zurücklehne und einfach mal ein paar Minuten abschalte und mir die Dinge von außen anschaue. Das Reflektieren von Außen, das könnte man auch als Nichtstun bezeichnen.

Wie würden sie "gutes" Nichtstun definieren?
Es gehört zu einem Gleichgewicht dazu, dass man nicht immer tut, sondern sich auch wieder innerlich distanziert vom Tun. Dass man Abstand gewinnt, dass man wieder los lässt. Man geht auf die Aufgaben zu und man geht wieder davon weg.

Ein unproduktives Nichtstun gibt es nicht?
Nein, das gibt es in dem Sinne nicht.

Animieren Sie, wenn sie Depressive behandeln, diese Menschen zum Tun?
Grundsätzlich sehe ich das Tun als etwas sehr Wesentliches für die Gesundheit. Mir hat jemand gesagt: "Herr Doktor, jede Arbeit macht doch krank." Das hat mich sehr verwundert. Ich sehe Berufstätigkeit primär als etwas sehr Positives und etwas, das die Gesundheit aufbaut. Man stellt sich Herausforderungen, man meistert Aufgaben. Das baut auch auf. Wenn ich zu Hause das Staubsaugen als Sport erachte, dann ist es eine Tätigkeit, die ich nicht hasse, obwohl ich weiß, dass die Putzfrau, die den ganzen Tag nichts anderes tun muss als Staub saugen und putzen, unter Umständen sehr darunter leidet und krank wird davon.

Es wäre vielleicht dann nicht so eine nicht geachtete Arbeit, wenn sie gut bezahlt wäre...
Eben. Man sollte grundsätzlich Arbeit auch gerecht bezahlen. Damit würde man vielen Krankheiten vorbeugen. Das gedrückte Selbstwertgefühl der Menschen macht viele Menschen krank - und schafft viele Sozialfälle.

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung "Von Tag zu Tag" vom Mittwoch, 26. Juli 2006, nach Ende der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Link
familienmedizin.net - Hans-Joachim Fuchs