Eine singuläre Erscheinung der Literatur
Georg Büchner
Georg Büchner unter den Außenseitern zu finden, mag verwundern, aber das hat durchaus seinen Grund: Seine Wirkungsgeschichte ist durchaus singulär. Man kann ruhig sagen, dass er erst 100 Jahre nach seiner Geburt als der Autor erkannt wurde, der er ist.
8. April 2017, 21:58
Georg Büchner wuchs im Milieu eines sehr gelehrten Hauses. Er zählte offenkundig schon als Gymnasiast zu den auffälligen, hervorragenden Erscheinungen der Schule. Er wurde nicht zuletzt auch auffällig durch Reden, die er in der Schule hielt, so mit einer Rede, die er als ganz junger Knabe schon 1823 hielt mit dem Titel "Vorsicht beim Genusse des Obsts" - das mit zehn Jahren und in lateinischer Sprache!
Revolutionäre Anfänge
Ende März 1834, während seines Medizinstudiums, begann Büchner mit der Herausgabe des "Hessischen Landboten", an dem auch andere Autoren mitwirkten. Dieser "Hessische Landbote" ist eine der ersten bedeutenden revolutionären Schriften im beginnenden 19. Jahrhundert, mit dem Aufruf an alle jene, die unterdrückt sind, sich zu erheben. Das war eine Schrift, deren Radikalität manches, was heute an ähnlichen Produkten kursiert, in den Schatten stellte.
Es ist sehr bezeichnend, dass offenkundig sein Co-Autor Weidig doch etwas milder vorging und er manches von dem, was Büchner an radikalen Botschaften in den Text eingebracht hatte, sehr sanftmütig verändert hat. Eine Stelle hat Weidig herausgestrichen, die deutlich zeigt, wie sehr Büchner eben auf jene abzielte, die die Gewinner der gegenwärtigen Situation sind. Die Stelle, die Weidig strich, lautete:
Das Leben des Fürsten ist ein langer Sonntag.
Das ging noch, auch für Weidig, an, aber dann kam die Änderung von Büchner:
Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag. Sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigene Sprache. Das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker.
Danton, ein nicht handelnder Held
Büchner ist der Nachwelt vor allem als Dramatiker bekannt: drei Theaterstücke, die sich auch einer großen Präsenz auf der Bühne bis an den heutigen Tag erfreuen, das älteste "Dantons Tod", ein "historisches Schauspiel" könnte man sagen, "Leonce und Lena", ein Lustspiel ganz eigenen Charakters, und "Woyzeck". Das Nachleben dieser drei Stücke ist zugleich auch ein Stück Geistesgeschichte.
In "Dantons Tod" geht es um die Geschichte der Revolution in Frankreich. Im Mittelpunkt steht der große Antiheld Georges Danton. Sein Nichthandeln ist eigentlich die merkwürdige Grundlage der Aktion in diesem Drama, ein durchaus paradoxer Zusammenhang. Büchner hat hier rhetorisch die Widersprüche der Revolution auf außerordentlich markante Weise zu fassen verstanden. Einerseits geht dem Ganzen ein sehr exaktes Studium der Quellen voraus - er hat sogar über lange Strecken die Reden des Konvents wörtlich übernommen. Somit ist dieses Drama Büchners auch ein Vorgriff auf die Moderne, auf das Prinzip der Montage.
Paradoxe Momente
Es ist eine der großen Paradoxien in Büchner Leben: Auf der einen Seite die Einsicht in den unabänderlichen Gang der Geschichte, auf der anderen die im "Hessischen Landboten" ganz deutlich bemerkbare Tendenz zu Aktivität, etwas zu tun gegen die Verhältnisse, zu opponieren. Das heißt, da ist ein Widerspruch, der aber wohl nicht nur ein Widerspruch Georg Büchners ist, sondern jedes Menschen, der sich irgendeiner Aktivität in gesellschaftlicher Hinsicht verschrieben hat.
Bemerkenswert auch, dass in seiner Komödie "Leonce und Lena", die Büchner in der Folge schreibt, auch dieses Moment nicht fehlt. Man hat dieses Werk Büchners immer wieder als Bagatelle verurteilt und kaum aufführen wollen. In der Tat aber steckt viel, viel mehr dahinter als bloß ein burleskes Spiel. Büchner hat hier sehr ernsthaft philosophische Probleme in den Text verpackt, aber am Ende doch auch eine Frohbotschaft.
Lange Zeit hat man den Schluss, die Worte des Narren Valerio, so gelesen: "Es möge eine kommende Religion allenthalben herrschen." In Wirklich stand dort aber "kommode Religion", as heißt eine bequeme Religion. So bekommt der Text eine ganz andere Bedeutung, eine "kommode Religion", eine Religion, die nicht durch Vorschriften die Menschen einengt und gefährdet.
Der "Typ Woyzeck"
Das Werk, mit dem Büchner sich wohl am ehesten in die Literaturgeschichte eingeschrieben hat, ist sein "Woyzeck". Mit dem Woyzeck hat Büchner eine Gestalt geschaffen, die in der Weltliteratur doch nur vergleichbar ist mit solchen großen, bedeutenden Gestalten wie etwa Hamlet oder Ödipus. Wir können ruhig sagen, dass Woyzeck eine Figur ist, die eine Art symbolische Aussagekraft weit über das Stück hinaus gewonnen hat.
Entscheidend ist der Typ Woyzeck. Der "Typ Woyzeck", das ist der Sprachlose, der Mensch, dem die Sprache versagt. Denken wir etwa, dass zur selben Zeit, als Büchner den "Woyzeck" schrieb, in Wien gerade ein Johann Nestroy seine Sprachkomik zur vollen Höhe entfalten konnte, aus der Sprache und mit der Sprache lebte, dann wird uns bewusst, wie sehr konträr Büchner sich dazu verhält. Er reduziert seinen Woyzeck auf eine Minimalsprache, ja oft deftige, derbe, obszöne Ausdrücke. Entscheidend ist dieser Sprachverlust, dass ein Mensch gar nicht mehr mit der Sprache kommunizieren kann.
Im dramatischen Dialog verdichtet
Büchner Werk ist schmal, gewiss, die Briefe, der "Hessische Landbote", die drei Dramen, die naturwissenschaftlichen Schriften, die Übersetzungen - viel mehr jedoch, als man je einem 23-Jährigen zutrauen würde. Hier ist alles komprimiert, verdichtet, im dramatischen Dialog verdichtet. Diese Präzision hat zu unzähligen Deutungen geführt. Man hat Büchner auch für verschiedene Weltanschauungen einvernehmen wollen, einerseits für eine atheistische, fatalistische, andererseits sogar für eine existenzialistische, also ein Autor, der gewissermaßen dem Nichts gegenüber trotzdem etwas sagt, das war vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg die Mode.
Was uns an Büchner bis heute noch bewegt: der Seelenkenner, derjenige der politische Zustände genau ermisst und der zugleich aber auch weiß, wie schwierig die Umformung in eine poetische Gestaltung ist.
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Wikipedia - Georg Büchner
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