Einstiger Star-Tenor und Wiener Publkumsliebling
Giuseppe di Stefano wird 85
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählte er zu den gefeiertsten Tenören: Giuseppe di Stefano, der nun 85 wird. Mit Maria Callas wurde "Pippo", wie ihn das Publikum liebevoll nannte, zum internationalen Opern-Traumpaar in den 1950er Jahren.
8. April 2017, 21:58
Er zählte zweifellos zu den umjubeltsten Tenören in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Giuseppe di Stefano.
Vor 85 Jahren, am 24. Juli 1921, wurde er in Motta Santa Anastasia in der Nähe von Catania geboren. Trotz der Tatsache, dass die Karriere und das Temperament des Sizilianers oft ähnlich unberechenbar waren, wie der sich in der Nähe seines Geburtsortes befindliche Ätna, hatte er diesen Erfolg.
Gesang, der aus dem Herzen kam
Längst gilt di Stefano als lebende Legende, als ein Künstler, dem die Liebe und Verehrung seines Publikums stets fast im Übermaß zuteil wurden - über alle Höhen und Tiefen seiner nicht immer unproblematischen Karriere hinweg.
Aber für unzählige Menschen in aller Welt war ihr heißgeliebter "Pippo" eben weit mehr als irgendein mehr oder weniger gut disponierter Sänger. Fast könnte man meinen: Giuseppe di Stefano war für viele so etwas, wie ein imaginärer Liebespartner. Und so hat er es wohl auch selbst empfunden: "Ich habe mich nie als Tenor gefühlt. Ich habe mit meinem Herzen gesungen. Mit dem Herzen macht man Liebe. Und ich habe beim Singen geliebt!", meinte er einmal in einem Interview.
Ausbildung bei Luigi Montesanto
Anfang der 1940er Jahre begann er bei dem einst renommierten Bariton Luigi Montesanto seine Ausbildung - beendet hat er sie nie. Im Gegenteil:
Ohne Wissen seines Lehrers nahm er bereits kleinere Engagements an und entzückte die Menschen vor allem mit neapolitanischen Kanzonen und Schlagern, lange noch bevor er sich die großen Opernhäuser eroberte.
Steile Nachkriegs-Karriere
Nach dem Krieg aber ging es dann sehr rasch: Im April 1946 fand sein offizielles Opern-Debüt in Reggio Emilia in Massenets "Manon" statt. Und nur ein knappes Jahr später war er in der gleichen Rolle bereits an der Mailänder Scala zu hören. Doch kaum, dass er den Scala-Erfolg in der Tasche hatte, brach er schon seinen Kontrakt, um einer Einladung der New Yorker Metropolitan zu folgen.
Und machte davor auch noch ein Stipvisite in London, um dort für "His Masters Voice" unter der Leitung von Alberto Erede Platten aufzunehmen. Und siehe da: auch Erede war fasziniert von den Naturgaben dieses jungen Tenors. Allerdings, so warnte er ihn damals, in technischer Hinsicht sei seine Stimme noch lange nicht ausgereift.
Phänomenale, aber gefährdete Stimme
Auch sein neuer Kollege an der Metropolitan, der jüdische Tenor Jan Peerce, ein wahrer Meister der Gesangstechnik, beschwor ihn geradezu, sein phänomenales Material nicht zu gefährden und bot ihm sogar an, kostenlos mit ihm zu arbeiten. Doch welcher junge Mensch, vor allem wenn er einen etwas labilen Charakter besitzt, hört schon gerne solche Ratschläge?
Noch dazu, wenn ihm die Welt augenscheinlich zu Füßen liegt. Und selbst ein hartgesottener Managertyp wie Rudolf Bing bekannte später, niemals einen schöneren Ton gehört zu haben, als di Stefanos abgeschwelltes hohes C in der Kavatine des Faust aus Gounods "Margarethe".
Opern-Traumpaar Callas - di Stefano
Bei einer "Traviata"-Vorstellung 1951 in Sao Paolo traf di Stefano dann auf der Bühne zum ersten Mal und unter Leitung von Tullio Serafin mit jener Künstlerin zusammen, die in der Folge seine wichtigste Partnerin auf der Bühne, aber vor allem im Plattenstudio werden sollte: Maria Callas.
Ein Traumpaar der Oper war geboren und sollte bald der gerade neu auf den Markt gekommenen Langspielplatte tatkräftig Starthilfe leisten. Meist mit Serafin am Pult und mit Walter Legge als geschicktem Drahtzieher hinter den Kulissen. Eine Reihe bis heute hochgelobter Einspielungen entstanden damals.
Gescheitertes Comeback
Und selbst zu einer Zeit, als der Stern der beiden schon lange verblasst war, sorgte ein Comeback-Versuch der Callas Anfang der 1970er Jahre an Pippos Seite für internationale Schlagzeilen. Die Welttournee begann in Hamburg, führte über verschiedene Stationen in Deutschland nach London, Paris, in die USA und bis nach Korea und Japan.
Doch das künstlerische Ergebnis blieb leider unter allen Erwartungen: di Stefano hatte durch seinen ständigen stimmlichen Raubbau bereits alle Reserven aufgebraucht, während Maria Callas zu diesem Zeitpunkt längst ein Opfer ihrer eigenen Psyche geworden war. Da half es auch nichts, dass sich die beiden damals privat näher kamen.
1956 mit Karajan erstmals in Wien
Bei einem Scala-Gastspiel an der Wiener Staatsoper mit "Lucia di Lammermoor" unter Herbert von Karajan 1956 konnten endlich auch die Wiener Maria Callas und Giuseppe di Stefano gemeinsam erleben. Es war quasi das Entree für Karajan als Wiener Operndirektor.
Doch während dieses Gastspiel für Maria Callas die einzige Begegnung mit dem Wiener Publikum blieb, entwickelte sich di Stefano sofort zum erklärten Liebling der Stadt, selbst wenn damals eigentlich bereits jener Abschnitt seiner Karriere begonnen hatte, in dem jeder seiner Auftritte zu einem Glückspiel wurde - ähnlich einem Roulette, dem er bekanntlich ja auch nie abhold war.
Schwankende Disposition
Einerseits konnte man ihn damals also in absoluter Topform erleben, zwei Tage später aber war ebenso ein totales Desaster möglich. Und die meist bedingungslose Treue der Wiener zu ihren Lieblingen konnte der so geliebte Pippo hier oft auskosten.
Letzte Schlagzeilen durch Raubüberfall
Die letzten Schlagzeilen lieferte di Stefano unbeabsichtigt: Ende 2004 wurde er in Kenia, das er als Alterssitz gewählt hatte, von brutalen Räubern überfallen. Ein Armband, das ihm einst Maria Callas geschenkt hatte sowie ein Medaillon von Toscanini waren den Tätern ins Auge gestochen.
Im Handgemenge stürzte der 83-Jährige und zog sich dabei schwere Verletzungen zu. Nach mehreren Operationen brachte man ihn schließlich nach Hause in die Nähe von Mailand.
Von zweiter Frau liebevoll umsorgt
Der einst so strahlende Star ist heute ein Pflegefall, liebevoll umsorgt von seiner zweiten Frau. Doch wer ihn besucht, spürt noch immer etwas vom einstigen Optimismus in seinen Augen. Was kann man Giuseppe die Stefano also zu seinem 85. Geburtstag wünschen?
Vor allem einen friedlichen und möglichst schmerzfreien Lebensabend. Die Liebe und die Erinnerung seines Publikums werden ihn jedenfalls immer begleiten.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 18. Juli 2006, 15:06 Uhr
Buch-Tipp
Thomas Semrau, "Giuseppe di Stefano. Eine Biographie", Residenz Verlag, 240 Seiten, 2002, ISBN 3701712956
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