Hilde Domins "zweites Leben"

"Aber die Hoffnung"

Hilde Domin, heuer im Februar 96-jährig verstorben, galt als eine der wichtigsten Lyrikerinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Streitschrift "Wozu Lyrik heute?" gilt bis heute als eine der wichtigsten Auseinandersetzungen mit dem lyrischen Schaffen.

Köln hat sich seit Hilde Domins Kindheit sehr verändert.

Hilde Domin, die erst mit 42 Jahren zu schreiben begann, gilt als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen Deutschlands. Ihre theoretische Auseinandersetzung mit Poetik beeinflusste auch die Literaturwissenschaft.

Emigration 1929

Hilde Domin wurde am 27. Juli 1909 als Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts in Köln geboren. Nach dem Abitur 1929 studierte sie drei Jahre lang Jura, Soziologie und Philosophie in Heidelberg, bevor sie 1932 mit ihrem späteren Mann Erwin Walter Palm nach Italien emigrierte. Dort heiratete das Paar 1936.

In Rom arbeitete Domin, die in Florenz promoviert hatte, bis 1939 als Sprachlehrerin. Dann flüchtete sie in die Dominikanische Republik. Hilde Domin arbeitete als Assistentin ihres Mannes, einem Kunsthistoriker, als Übersetzerin und als Fotografin. Ihren Namen "Domin" nahm sie in Erinnerung an ihren Aufenthalt in der Hauptstadt Santo Domingo an.

Neues Leben als Schriftstellerin

In der Dominikanischen Republik begann auch Domins Leben als Schriftstellerin - "mein zweites Leben", wie sie sagte. Ihr erstes Gedicht schrieb sie bereits 1951; von 1957 an veröffentlichte sie ihre Werke in Zeitschriften. 1959 erschien ihr erster Gedichtband, "Nur eine Rose als Stütze". Als erste Prosaarbeit kam 1968 der Liebesroman "Das zweite Paradies", später schrieb Domin auch einige autobiografische Werke. Ihre Arbeiten wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Weil Palm einen Lehrstuhl an der Universität in Heidelberg erhielt, kehrte das Ehepaar 1954 nach Deutschland zurück. Seit 1961 war Hilde Domin als freie Schriftstellerin tätig. Domin, die zahlreiche Literaturpreise erhielt und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes war, veröffentlichte neben Lyrik und Prosaschriften auch zahlreiche theoretische Beiträge zur Poetik sowie Essays. Ihren letzten Gedichtband "Der Baum blüht trotzdem" veröffentlichte Hilde Domin 1999 - im Jahr ihres 90. Geburtstags.

Lebenselixier Lesungen

"So lange man noch Neugierde in sich hat und staunen kann, ist das Alter egal." Diesem Leitspruch ist die Lyrikerin Hilde Domin bis zu ihrem Lebensende treu geblieben. Voller Tatendrang arbeitete die vielfache Literaturpreisträgerin noch mit 95 Jahren an Erinnerungen an ihre frühe Kindheit und hielt bis zuletzt Lesungen. Im Alter von 96 Jahren starb die energische, kleine Frau am 22. Februar 2006 in ihrer Wahlheimat Heidelberg.

Schreiben und Lesungen halten, das war das Lebenselixier für die Dichterin jüdischer Herkunft. "Es ist für mich eine Freude und keine Arbeit, dass ich diese Lesungen halten kann", versicherte die Schriftstellerin immer wieder. Ihre Texte wählte sie dabei je nach Stimmung und immer unterschiedlich aus. "Ein Gedicht lese ich aber fast immer vor: 'Abel steht auf'", erzählte die Grande Dame der deutschen Literatur einmal. In dem Gedicht machte sie die biblische Tat von Kain einfach rückgängig und gab ihm eine zweite Chance.

Beitrag zur Wissenschaft

Domins theoretische Auseinandersetzung mit Poetik wurde erstmals eindrucksvoll in ihrem Beitrag "Zur Lyrik heute" in der Zeitschrift "Merkur" dokumentiert (1962). Es folgten die nach Kritikermeinung methodisch neue Wege weisende Anthologie "Doppelinterpretationen. Das zeitgenössische deutsche Gedicht zwischen Autor und Leser" (1966) und die Streitschrift "Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft" (1968). 1970 schrieb Domin eine Geschichte der Bundesrepublik, wie sie sich in der Lyrik spiegelte: "Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945-1970".

Auf ihr Alter angesprochen zu werden, war der Schriftstellerin fast unangenehm. "Für mich ist man entweder präsent oder man ist nicht präsent - dann ist es egal, ob man 70 oder 90 Jahre alt ist", betonte sie mehrfach.

Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 16. Juli 2006, 14:05 Uhr

Download-Tipp
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Links
Wikipedia - Hilde Domin
Konrad-Adenauer-Stiftung - Ansprache zur Preisverleihung des Literaturpreises 1995