Ungeliebte Kinder werden hassende Erwachsene
Ich will eine Welt ohne Kriege
Wie in einem halben Dutzend früherer Bücher beschäftigt sich der deutsch-schweizerische Psychoanalytiker Arno Gruen auch in seiner jüngsten Arbeit mit den Ursachen von Terror, Kriegen und Gewalt. Gruens Büchlein richtet sich vor allem an junge Menschen.
8. April 2017, 21:58
Arno Gruens Hauptthese lautet: Hass und Gewalt kommen durch nicht-liebende Eltern in die Welt, durch Eltern, die ihre Kinder auf offene oder unterschwellige Weise ablehnen, so sehr sie das auf einer bewussten Ebene auch leugnen würden:
"Leider ist es so, dass viele Menschen, vielleicht ein Drittel, im Aufwachsen sehr wenig Liebe erhalten", ist Arno Gruen überzeugt. Was sie lernen, ist auch, dass sie den Erwartungen der Eltern entsprechen müssen, um sich nicht abgelehnt zu fühlen. "Ein Kind kann ja nicht damit leben, dass die Eltern nicht-liebend sind, dass sie ihren Kindern gegenüber hasserfüllt sind."
Ursache für Feindbilder
Menschen wie Hitler, Stalin, Mussolini, aber auch der Nietenarmbänder tragende Kampfhundbesitzer von nebenan, der seine Frau im Suff mit Fußtritten zu traktieren pflegt, sie alle sind als Kinder systematisch gedemütigt, verhöhnt, heruntergemacht worden, diagnostiziert Arno Gruen. Der Mechanismus ist immer der gleiche: Das gedemütigte Kind kann seine Wut nicht gegen die Eltern richten - schließlich will der kleine Mensch seine Erzeuger nicht noch mehr gegen sich aufbringen.
So bleiben ihm genau zwei Möglichkeiten: Er wendet seine Aggressionen gegen sich selbst und entwickelt später als Erwachsener selbstzerstörerische Verhaltensweisen, oder er beginnt, seine Wut immer unverhohlener auf Menschen oder Gruppen zu richten, die scheinbar schwächer sind als er.
Hier haben die Feindbilder dieser Welt ihre Ursachen. Indem man Schwarzafrikaner, Juden, Türken, Behinderte, wen auch immer heruntermacht, fühlt man sich selbst irgendwie bedeutsamer. Es handelt sich dabei um eine Pseudo-Bedeutsamkeit, die sich nicht aus lebendigen Quellen speist, sondern sich letztlich, so Gruen, einer unterschwelligen Todes-Obsession verdankt.
Unbewusster Selbsthass
Die Bereitschaft zu Hass und Gewalt wurzelt ausnahmslos in unbewusstem Selbsthass, weiß Arno Gruen. Die Wut - in frühester Kindheit durch Unterdrückung des Eigenen entfacht - diese Wut sucht sich Ersatz-Objekte. Im schlimmsten Fall mündet sie in Mord, Terror, Genozid.
Wer glaubt, dass die von Arno Gruen beschriebenen Mechanismen mit Hitler, Stalin oder Mao ausgestorben sind, irrt. Von den Kindersoldaten Somalias bis zu den Skinheads von Cottbus, von irakischen Suicide-Bombern bis zu frömmlerischen Redneck-Militaristen in Texas: Allenthalben auf dem Globus grassiert unverändert der Kult des Todes.
"Das Tödliche ist ja leider das, was diese Menschen bewegt", findet Arno Gruen. "Bush ist einer, der das Tödliche liebt. Bin Laden ist allerdings nicht anders. Und die Menschen, die die Flugzeuge in die Twin Towers flogen. Das Tödliche gibt ihnen ein Gefühl der Lebendigkeit."
Tagtägliche Auseinandersetzung
Dennoch: Die Lage ist nicht aussichtslos. Einem Drittel hassgesteuerter Zeitgenossen, meint Arno Gruen, steht ein Drittel liebesfähiger Menschen gegenüber. Ein weiteres Drittel ist irgendwo in der Mitte angesiedelt. Ob Ressentiment oder Güte triumphieren, Hass oder menschliches Mitgefühl, wird in ungezählten Auseinandersetzungen tagtäglich immer wieder von neuem entschieden.
Arno-Gruen-Leser kennen die Thesen des 83-jährigen Theodor-Reik-Schülers aus früheren Schriften. Auch in seinem jüngsten Buch stimmt der in Zürich lebende Analytiker das alte Lied von der friedlichen Welt an, die in einer liebevollen Kindererziehung wurzelt. Den Zustand des Planeten betrachtend, muss man sagen: Es ist dies ein Lied, das immer wieder von neuem gesungen werden muss.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Arno Gruen, "Ich will eine Welt ohne Kriege", Verlag Klett-Cotta, ISBN 3608944435