Hemingway ein Mörder?

Adios Hemingway

Mit "Adios Hemingway" ist Leonardo Padura etwas Seltenes gelungen: ein spannender Krimi, die Verknüpfung von Anspruch und Unterhaltung, sowie das Kunststück, ein gehöriges Interesse an Leben und Werk Hemingways wieder zu wecken.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Eines Tages im Jahre 2001 wird auf einem Grundstück nahe der kubanischen Hauptstadt Havanna die skelettierte Leiche eines Mannes gefunden. Alter zum Zeitpunkt des Todes: etwa 60 Jahre. Hautfarbe: weiß. Todesursache: zwei Kugeln aus einem Gewehr. Ein Mord, der allerdings gut 40 Jahre zurückliegt, irgendwann zwischen 1957 und 1960 schätzen die Gerichtsmediziner. Pikanterweise wird beim Skelett auch noch eine Polizeimarke gefunden. Um genau zu sein: eine FBI-Marke.

Starker Tobak

Eigentlich könnte man die Geschichte mit dem Skelett getrost vergessen, immerhin liegt sie ja vierzig Jahre zurück. Man könnte. Wäre da nicht das Grundstück, auf dem die Leiche verscharrt worden ist: die Finca Vigia. Jetzt ist für den Kuba- und Hemingway-Kenner alles klar. Auf dieser Finca hat Ernest Miller Hemingway die letzten Jahre seines Lebens verbracht, bevor er sich - alkoholkrank und depressiv - im Alter von 61 Jahren im US-amerikanischen Nordwesten, in Ketchum, Idaho, erschoss. Das war vor 45 Jahren, exakt am 2. Juli 1961.

Der Kraftprotz und Waffennarr Hemingway als Mörder eines FBI-Agenten zu den Zeiten der kubanischen Revolution? Das ist starker Tobak, aber eine nicht unbedingt an den Haaren herbeigezogene Geschichte. Zu den Ermittlungen beigezogen wird jedenfalls Mario Conde, der Held aller vier Havanna-Krimis von Leonardo Padura. Jener ironisch-melancholische Kommissar, der inzwischen seinen Job als Polizist aufgegeben hat, und sich nun als Schriftsteller und Antiquar durch den sozialistischen Alltag zu schlagen versucht.

Alles in allem war er ein guter Polizist gewesen, trotz seiner Abneigung gegen Waffen, Gewalt und Unterdrückung und gegen die Macht, die durch Angst und die schaurigen Mechanismen des Apparats jeden manipulieren und erledigen kann. Nun aber, das wusste er, war er ein beschissener Privatdetektiv in einem Land, in dem es weder Detektive noch ein Privatleben gab. Mit anderen Worten: Er war eine schiefe Metapher in einer schiefen Wirklichkeit.

Kubas innere Schräglage

Die Kriminalfälle, die Mario Conde, Leonardo Paduras Held und wohl auch Alter Ego, zu lösen hat, gehen an die innere Substanz der kubanischen Gesellschaft. Prostitution als offiziell verbotenes, aber geduldetes Phänomen, Korruption und Betrug bis in die höchsten Regierungskreise. Eine Zweiklassengesellschaft, geteilt in eine Minderheit von Devisenbesitzern und eine Mehrheit, die vom kubanischen Peso lebt. Leonardo Padura schreibt offen über diese Missstände.

Jene innere Schräglage also, in die die kubanische Wirklichkeit geraten ist, und die durch das hohe Alter Fidel Castros und die damit verbundenen Fragen nach der Zukunft Kubas und seiner Bevölkerung auch nicht unbedingt den Weg zurück in die Gerade findet, prägt also den Ex-Polizisten Mario Conde, nun Antiquar, Schriftsteller und "private eye", wie es bei Hammett und Chandler, den Großmeistern des Genres heißt.

Noch depressiver als sonst

Aber diesmal, beim "Hemingway-Fall" ist Conde noch grüblerischer und depressiver als sonst. Das kann mehrere Gründe haben. Erstens hat der ansonsten doch sinnenfrohe Kubaner diesmal weit weniger Sex als in den anderen Krimis. Genau genommen gar keinen. Sieht man vom Fund und der illegalen Aneignung eines schwarzen Spitzenhöschens von Ava Gardner aus dem Hemingway-Museum auf der Finca Vigia ab.

Zweitens trinkt er auch deutlich weniger. Sieht man von einem finalen Rumbesäufnis im sentimentalen Freundeskreis nach der Lösung des Falles ab. Drittens, und das ist letztlich ausschlaggebend, kämpft der angehende Schriftsteller Mario Conde mit einer literarischen Überfigur: Papa Hemingway, wie ihn ältere Kubaner angeblich heute noch liebevoll nennen. Auch wenn dieser Papa, und das macht dem Detektiv beim Fortgang der Ermittlungen ebenfalls schwer zu schaffen, privat oft ein arrogantes Ekelpaket und in seinen letzten Jahren, um die es hier ja geht, ein unerträgliches Neurosenbündel gewesen sein mag.

"Hemingwayaner" dürfen aufatmen

Der Fall wird - wie gesagt und wie es sich für einen Kriminalroman gehört - gelöst. Wie, wird selbstverständlich nicht verraten. Nur so viel: Die "Hemingwayaner" Kubas und die vom Rest der Welt dürfen aufatmen. Und Leonardo Padura, der Autor, darf es auch, denn mit "Adios Hemingway" ist ihm etwas Seltenes gelungen. Nicht nur die in unseren literarischen Breiten des Öfteren fehlgeschlagene Verknüpfung von Anspruch und Unterhaltung, sondern auch das Kunststück, ein gehöriges Interesse an Leben und Werk Hemingways wieder zu wecken und zugleich auch eine kräftige Portion Sehnsucht nach Kuba, Havanna zu entfachen.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Leonardo Padura, "Adios Hemingway", aus dem kubanischen Spanisch übersetzt von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag, ISBN 3293003621