Kunst in der Anwaltskanzlei

Avantgarde am Arbeitsplatz

Herwig Steiner hat für die Rechtsanwaltskanzlei Manak & Partner am Wiener Stephansplatz zwei provokante Rauminstallationen geschaffen. Der Künstler verwendete auch Auszüge aus den Nürnberger Rassengesetzen der Nationalsozialisten.

Herwig Steiner über seine Rauminstallationen

Kunst darf provozieren, meint Herwig Steiner, und zwar auch denjenigen, der das Kunstwerk in Auftrag gibt. Seine neue, zweiteilige Rauminstallation wurde Dienstagabend in einer Rechtsanwaltskanzlei im Zentrum Wiens eröffnet. "Ich sehe ganz allgemein eine große Gefahr, dass die Kunst immer mehr von der Scherzartikelindustrie vereinnahmt und übernommen wird, zur Unterhaltung verwendet wird. Dieser Gefahr möchte ich aus dem Wege gehen", betont Steiner.

In der neu bezogenen Kanzlei von Manak & Partner am Stephansplatz dienen die beiden Kunstwerke Steiners als architektonische Elemente: Raumeinheiten werden durch großflächige Glaspanele voneinander getrennt. Bedruckt sind sie mit Textfragmenten auf einem farbigen, abstrakten Hintergrund. Steiner will mit den ausgewählten Texten durchaus auch philosophische und ethische Fragen an den Berufsstand der Juristen stellen.

Auszüge aus den Nürnberger Rassengesetzen

Auftraggeber der Arbeit ist Andreas Manak. "Ich habe zu Beginn schon auch gedacht: Was bedeutet das für mich aus Sicht der Anwaltsordnung, und kann ich disziplinäre Probleme bekommen. Vor 20 Jahren sind Rechtsanwälte noch disziplinär bestraft worden, weil sie auf der Straße in Eis geschleckt haben. Das galt als standeswidrig und ehrenrührig. Heute sieht man das etwas liberaler. Es hat schon einige Leute gegeben, die das sehr in Frage gestellt haben, wie ich von dem Projekt berichtet habe."

"Not one more execution!" heißt die Arbeit, die sich mit der Todesstrafe in den USA beschäftigt, und für die andere Arbeit, "Gesetz und Verbrechen" verwendete der Künstler Auszüge aus den Nürnberger Rassengesetzen der Nationalsozialisten. Beide Kunstwerke versteht Andreas Manak als Reflexionen über die Aufgaben und Verantwortungen der Juristen - ist er doch in seiner Arbeit alltäglich mit der Umsetzung von Recht in die Realität beschäftigt.

Die Verantwortung der Juristen

"Bei jeder Entscheidung am Schreibtisch ist irgendjemand materiell betroffen. Natürlich nicht durch meine Handlung, Entscheidung alleine; die Richter, die Behörden, setzen das unter Umständen um - mit Entmündigungen, Kündigungen, Zwangsvollstreckungen, Gefängnisstrafen. Mir geht’s auch gar nicht darum, dass diese Arbeit unmittelbar meine juristische Tätigkeit reflektiert. Da geht es in einem viel allgemeineren Sinn um die Verantwortung des Juristen in der Gesellschaft."

So drastisch die antisemitischen Verordnungen der Nürnberger Rassengesetze heute klingen - sie bildeten vor wenigen Jahrzehnten sowohl die Grundlage für die Rechtssprechung, als auch für die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten. Die Textfragmente folgen einer räumlichen Dramaturgie, sind jedoch inhaltlich nicht verändert worden.

Unkommentierte Zitate

Andreas Manak: "Jetzt, wo man hier wirklich in riesiger Schrift lesen kann: 'Juden ist der Beruf des Rechtsanwalt verschlossen'. Oder: 'Juden ist es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen', verstehe ich auch: Das kann man nur in dieser unkommentierten Art und Weise hier stehen lassen."

Die auf der zweiten Glasfläche zitierten Texte sind wissenschaftlichen Studien über konkrete Hinrichtungsfälle in den USA entnommen. Zumeist rassistisch motiviert, wurden die Todesurteile in unsauberen Prozessen verhängt.

Die Frage nach der Wahrheit

Die in den USA Hingerichteten waren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht schuldig, erläutert Herwig Steiner: "Im Fall 'Not one more execution' geht es um die Frage der Möglichkeit und Unmöglichkeit, Gewissheit zu haben. In dem Fall Gewissheit über Schuld oder Unschuld eines Menschen. Und das ist der Extremfall: Hier geht es um Leben oder Tod. Die Frage ist auch philosophisch zu stellen, ob eben Wahrheit überhaupt generiert werden kann."

"Aber genau die Praxis des Todesurteils in den USA hinterfragt dieses Thema nicht mehr", wirft Andreas Manak an. "Es wird die Wahrheit ultimativ angesetzt. Wenn es eine Wahrheit gibt, dann die, dass die tot sind."

Die Zeit vor der Hinrichtung

Obgleich die beiden Kunstwerke, die fortan als permanente Installationen in der Kanzlei zu sehen sind, sich auf unterschiedliche lokale Kontexten beziehen - beide verweisen in der Kritik an Menschenrechtsverletzung auf einander. Wer die antisemitischen Gesetze der Nazis anprangert, könne sich auch schlecht mit dem in den USA praktizierten System der Todesstrafe anfreunden, meint Andreas Manak. Schließlich sei die Todesstrafe nicht nur der finale Akt der Hinrichtung.

"Es gibt ja auch eine Zeit davor", meint Manak. "Es gibt Phase, wo die Leute in der Todeszelle sitzen, unter Umständen jahrelang. Es gibt die Phase, wo sie zum elektrischen Stuhl geführt werden, wo sie auf einer Pritsche festgeschnallt werden, bevor sie die Todesspritze bekommen. Dieser ganze Prozess davor ist mit Sicherheit in hohem Grade menschenunwürdig, erniedrigend. Das ist Folter in einer Phase vor dem Tod und man kann jetzt schwer sagen, man trennt diese beiden Bereiche."

Buch-Tipp
Herwig Steiner, "Gesetz und Verbrechen", Hg. von Andreas Manak, Passagen Verlag, ISBN 9783851657715

Link
Passagen Verlag - Gesetz und Verbrechen
Manak & Partner