Internationale Strafgerichtsbarkeit seit 1945

Der lange Weg zur Gerechtigkeit

Seit den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio haben sich europäische Rechtskultur und Völkerrecht stetig weiterentwickelt. Doch der Weg zur Beendigung der Straflosigkeit ist noch weit.

Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde 1998 von 120 Staaten angenommen und trat am 1. Juli 2002 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt ist das Gericht zuständig. "Wir haben eine Ära betreten, in der sich ein Ende der Straflosigkeit abzeichnet", meint der renommierte Völkerstrafrechtsexperte Otto Triffterer. Niemand werde mehr ungestraft Menschenrechtsverbrechen, Kriegsverbrechen oder Völkermord begehen können.

Wermutstropfen bleibt, dass nicht alle Staaten der Erde das Statut ratifiziert haben - darunter die USA, Russland oder China. Mittlerweile gibt es eine erste Anklage am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag: gegen den Kongolesen Thomas Lubanga, der für seine Miliz Kindersoldaten zwangsrekrutiert haben soll.

Entwicklung der Strafgerichtsbarkeit

Erste Ideen zu einem Internationalen Gericht gab es schon vor rund 100 Jahren. Nach dem Ersten Weltkrieg erwogen die Alliierten, Straftribunale einzusetzen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mit Nürnberg und Tokio die ersten Internationalen Kriegsverbrechertribunale. Danach dauerte es ziemlich lange, ehe Fortschritte im internationalen Völkerrecht erzielt wurden, erklärt Manfred Nowak, Völkerrechtsexperte und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte. Vor allem im kalten Krieg sei gar nichts weitergegangen.

Der Durchbruch kam in den frühen 1990er Jahren. Die USA hatten die Initiative zur Einrichtung eines internationalen Ad-Hoc-Strafgerichts für Ex-Jugoslawien ergriffen. Anlass waren die ethnischen Säuberungen im früheren Jugoslawien, die als Völkermord definiert wurden.

Rückschlag im Fall Ex-Jugoslawiens

2004 begann vor dem Ad-Hoc-Strafgerichtshof für Ex-Jugoslawien der Prozess gegen den früheren serbischen Diktator Slobodan Milosevic Milosevic, doch er endete ohne Urteil - Milosevic starb im März 2006 während der Haft an einem Herzinfarkt. Milosevics Tod gilt als schwerer Rückschlag für das Tribunal. "Eine völlige Niederlage", gestand Chefanklägerin Carla del Ponte ein. Milosevic hatte keines der Verbrechen zugegeben, deretwegen er angeklagt war, darunter der Völkermord im Bosnienkrieg im Zusammenhang mit dem Massaker in der bosnischen Moslemenklave Srebrenica.

Mitte Juli 2006 begann in Den Haag der Prozess gegen sieben mutmaßliche Verantwortliche des Massakers in der ehemaligen bosnischen Moslemenklave Srebrenica vor 13 Jahren, bei dem rund 8.000 Menschen getötet wurden. Doch die beiden mutmaßlichen Hauptverantwortlichen, der bosnisch-serbische Ex Präsident Radovan Karadzic war bis vor kurzem und sein Militärchef, Ratko Mladic, ist nach wir vor flüchtig.

Karadzic und Mladic sind wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie Völkermord angeklagt, dem schwersten Tatbestand, der in Den Haag nur für das Massaker von Srebrenica angewendet wird. Die internationale Gemeinschaft habe sich mit der Festnahme von Mladic und Karadzic viel zu lange Zeit gelassen, bedauert Völkerrechtsexperte Manfred Nowak.

Das erste Urteil eines internationalen Gerichts wegen Völkermordes fällte der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda mit Sitz in Arusha im Jahr 2000.

Das Sondergericht von Sierra Leone

2003 nahm der Sondergerichtshof von Sierra Leone seine Arbeit auf, der auf einem Vertrag zwischen der UNO und Sierra Leone basiert. Ein großer Erfolg gelang dem Sondergericht durch die Festnahme von Charles Taylor Ende März 2006, sagt die österreichische Richterin Renate Winter, Vizepräsidentin und Berufungsrichterin am Sondergericht. Charles Taylor soll den jahrzehntelangen Bürgerkrieg mit Sierra Leone durch Waffen- und Diamantenschmuggel unterstützt und geschürt haben. In dem Krieg wurden hunderttausende Menschen getötet.

Das Tribunal wirft dem Ex-Diktator von Liberia Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, darunter die Rekrutierung von ca. 7000 Kindersoldaten. Da keines der internationalen Gerichte die Todesstrafe vorsieht, würde auch im Fall Taylor die Höchststrafe auf lebenslänglich lauten.

Verbrechen gegen Frauen

Jahrzehntelang war die strafrechtliche Ahndung von Verbrechen sexualisierter und anderer Gewalt gegen Frauen nicht Gegenstand des Völkerstrafrechts. Mittlerweile ist Vergewaltigung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. 2001 fand in Den Haag der erste Prozess statt, der sich ausschließlich mit Vergewaltigungen und sexueller Gewalt im Krieg befasste.

Die Anklage wegen sexueller Gewalt bleibt ein enormes Problem, weiß Renate Winter. In manchen Ländern existiere nicht einmal der Begriff "Vergewaltigung" - das falle unter Sachbeschädigung! Viele Frauen, vor allem in moslemischen Ländern, getrauten sich eine Vergewaltigung nicht zuzugeben, da sie dann von Verfolgung durch die eigene Familie bedroht seien.

Für viele weibliche Opfer sei es überaus schwierig, als Zeugin in einem Prozess aufzutreten und über traumatische Erfahrungen neuerlich sprechen zu müssen, sagt Elisabeth Rehn, ehemalige finnische Gleichstellungsministerin, Expertin für die Auswirkungen von Kriegen auf Frauen und Beraterin der UNO in Gender-Fragen. Sie fordert daher verstärkten Opferschutz für Frauen.