Kolumne von Richard Brem

Zukunftsvision und Zeitkritik

Science Fiction erahnt die Bedeutung gesellschaftlicher Entwicklungen für die Zukunft. Gute Science Fiction leistet noch mehr: Sie besitzt nicht nur prognostische und prophetische Kraft, sondern ist immer auch Gegenwartsbeschreibung und Gegenwartskritik.

Die Hauptfigur in William Gibsons bislang letztem Roman "Pattern Recognition" (2003, "Mustererkennung") ist ein Trend-Scout. Ihre Tätigkeit: Entwicklungen, Tiefenströmungen, Muster frühzeitig erkennen, extrapolieren und ihre Bedeutung in der Zukunft erahnen. Im Grunde genommen macht William Gibson und machen andere Science Fiction-Autoren auch nichts anderes.

Gute Science Fiction - und Gibson ist dafür ein Paradebeispiel - leistet allerdings noch mehr: Sie besitzt nicht nur prognostische und prophetische Kraft, sondern ist immer auch Gegenwartsbeschreibung und Gegenwartskritik.

Persönliche Prägung

Wie bei so vielen, die in den 1980er Jahren aufgewachsen und kulturell geprägt worden sind, erfolgte auch mein Einstieg in die Science Fiction über William Gibson. Natürlich gab es bereits zuvor eine, für die 1980er Jahre typische Science Fiction-Sozialisation: In Form von Filmen wie "Tron", "RoboCop", "Blade Runner", der Fernsehserie "Max Headroom" und Kraftwerk (auch das - Sound gewordene - Science Fiction!). Aber erst mit Gibsons legendärer "Cyberpunk-Trilogie" erschloss sich mir die Science Fiction auch als literarische Gattung.

Besonders angetan hatte es mir dabei der zweite Teil von Gibsons Trilogie: "Count Zero" (1986, "Biochips") mit ihrer kontrapunktischen Verbindung von Hi-Tech-Welten und haitianischem Voodoo und der Howard Hughes-artigen Figur des Josef Virek (dem ich dann Jahre später gemeinsam mit dem Philosophen Andreas L. Hofbauer einen fiktiven Besuch abstattete, den wir in einer Kurzgeschichte festhielten).

Simulation und Simulakren

Über Gibson stieß ich auf das Werk von Philip K. Dick (1928-82) - bis heute mein Lieblingsautor im Bereich der Science Fiction. Wie visionär und seiner Zeit voraus Dick gewesen ist, zeigt sich schon anhand der langen Liste an Romanen und Kurzgeschichten, die von Hollywood verfilmt wurden: "Blade Runner", "Total Recall", "Screamers", "Minority Report", "Paycheck", "Impostor" und demnächst "A Scanner Darkly" (mit Keanu Reeves und Winona Ryder in den Hauptrollen).

Mit Philip K. Dick kehrte die Science Fiction aus den unendlichen Weiten des Weltalls auf die Erde zurück - und die Landung war hart. Selbst dort, wo Dick wüste und lebensfeindliche Planeten beschrieb, waren diese nichts weiter als Metaphern für die Zustände auf dieser Welt bzw. in Dicks Heimat USA. Ein weiteres Kenn- und Markenzeichen von Dicks Romanen ist die Frage: Was ist wirklich und was ist simuliert? Nicht von ungefähr hat Jean Baudrillard, der Philosoph der "Agonie des Realen", in seinem Buch "Simulacres et simulation" explizit auf Philip K. Dick Bezug genommen - ein Buch, das wiederum die Brüder Wachowski bei ihrer "Matrix"-Trilogie massiv beeinflusst hat.

Fiktion wird Realität wird Fiktion

Im Zuge meiner Recherchen für die Ausstellung "Sci Fi Stories" stieß ich auf weitere Beispiele für die wechselseitige Beeinflussung und Durchdringung von Realität und Science Fiction. Etwa auf den aus Wien gebürtigen US-Militärstrategen Stefan T. Possony (1913-1995), der für Ronald Reagan das Konzept einer weltraumgestützten Raketenabwehr ("SDI" oder auch "Star Wars") entwickelte - und zwar in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Science Fiction-Autor Jerry Pournelle.

Ein weiteres Beispiel: Die durch ihren Giftgas-Anschlag auf die Tokioter U-Bahn bekannt gewordene Aum-Sekte in Japan, die sich nach dem Vorbild der Geheimgesellschaft in Isaac Asimovs "Foundation"-Trilogie organisierte.

"Mythen, Träume und Utopien"

Derart als Blaupause dient Science Fiction allerdings nur selten. In der Regel sind Science Fiction-Autoren mehr Seismographen, Seher und Satiriker gegenwärtiger Verhältnisse. Exemplarisch sei hier J.G. Ballard erwähnt, dessen Buch "A User's Guide to the Millennium" ich auch das Motto der Science Fiction-Ausstellung entnommen habe:

"Obwohl etwas voreingenommen, bin ich der festen Überzeugung, dass Science Fiction die wahre Literatur des 20. Jahrhunderts ist und wahrscheinlich auch die letzte literarische Form vor dem Tod des geschriebenen Wortes und der Herrschaft der Bilder. Science Fiction ist eine der wenigen Gattungen moderner Literatur, die sich explizit mit Wandel und Veränderungen befaßt - in Gesellschaft, Technik und Umwelt - und mit Bestimmtheit die einzige Literaturgattung, die unserer Gesellschaft die Mythen, Träume und Utopien erfindet."

Richard Brem ist freier Publizist, Mitveranstalter des “Resfest Vienna” und Mitarbeiter der Ö1 Redaktion “matrix - computer & neue medien.”

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 9. Juli 2006, 22:30 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipps
William Gibson, "Mustererkennung", aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann und Christa Schuenke, Klett-Cotta, ISBN 3608936580

Philip K. Dick, "A Scanner Darkly", Gollancz, ISBN 1857988477

J.G. Ballard, "A User's Guide to the Millennium: Essays and Reviews", Harper Collins, ISBN 0002555522

Veranstalltungs-Tipp
Ausstellung, "Sci Fi Stories", Mittwoch, 5. Juli bis Sonntag, 20. August 2006, täglich von 10:00 bis 20:00 Uhr im Freiraum/quartier21 des MQ Wien,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent).

Links
MQ - Sci Fi Stories
William Gibson

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