Das Schicksal eines Volkes

Mao

Fast 30 Jahre nach seinem Tod erschien nun eine Aufsehen erregende Biografie Mao Zedongs der chinesischen Schriftstellerin Jung Chang und ihres britischen Ehemannes, des Historikers Jon Halliday, die mit Maos Schönfärberei aufräumt.

Fast 30 Jahre nach seinem Tod erschien jetzt die Aufsehen erregende Biografie von Mao Zedong, verfasst von der chinesischen Schriftstellerin Jung Chang und ihrem britischen Ehemann, dem Historiker Jon Halliday. Zwölf Jahre hat das hoch motivierte Ehepaar an diesem Stück Realitätsgewinn gearbeitet. Sie gehen davon aus, dass Mao den Tod von 70 Millionen Chinesen zu verantworten hat, mehr als Hitler und Stalin zusammen.

Maos Haltung war geprägt von grenzenloser Selbstsucht und Verantwortungslosigkeit. Diese Eigenschaften waren seiner Meinung nach den "Großen Helden" vorbehalten - einer Gruppe, zu der er sich auch selbst zählte.

Ein ganz gewöhnlicher Mann

Lange deutete nichts auf eine besondere Karriere des 1893 in eine Bauernfamilie geborenen Mao Zedong. Alles um ihn herum schien so gewöhnlich wie er selbst. Sein ungestillter Wissensdurst führte ihn zunächst in die Reihen der nationalistischen städtischen Intellektuellen, doch sein Machthunger ließ ihn früh erkennen, dass er als Berufsrevolutionär bessere Chancen hatte.

Im Stil von Halbgebildeten verfasste Mao Pamphlete, die einen ebenso verwässerten Kulturpessimismus wie Marxismus, falsch verstandenen Hegelianismus, vor allem aber Bellizismus zum Ausdruck brachten. Er glaubte, dass man den Kriegszustand herbeiführen müsse. Brutalität versetzte ihn, wie er selbst zugab, "in Ekstase".

Eine andere zentrale Charaktereigenschaft, die Mao nun in seinen Kommentaren zum Ausdruck brachte, war seine Freude an Aufruhr und Zerstörung. (...) Ein lang anhaltender Frieden, behauptete er, ist für die Menschen unerträglich und langweilig.

Emotionale Kälte

Sobald er auch über die Mittel verfügte, kam Maos Brutalität erst richtig zum Tragen. Als Kommandant der Roten Armee führte er in den Bergen das Leben eines Partisanen, der sich, wie Carl Schmitt es einst beschrieb, von einem Banditen nur dadurch unterschied, dass er durch den Schutz einer Großmacht politisch legitimiert wurde.

Seit Maos Ankunft waren öffentliche Hinrichtungen ein Bestandteil des lokalen Lebens geworden, und er hatte dabei eine Schwäche für einen langsamen, qualvollen Tod der Opfer gezeigt.

Als er aus Moskau den Befehl zum Angriff auf jene Stadt erhielt, in der seine zweite Frau mit den drei gemeinsamen Kindern lebte, ließ er sie von Chian Kai Scheks Soldaten exekutieren, statt ihr zu Hilfe zu kommen. Emotionale Kälte und Zynismus prägten auch das Verhältnis zu den nachfolgenden Ehefrauen, vor allem aber zu den Kindern.

Eigene Truppen aufgerieben

Der noch nicht etablierte Kommunist plante, sich während des langen Marsches einen Namen über seine militärischen Erfolge zu machen. Tatsächlich war Mao für eine der größten Niederlagen der Roten Armee verantwortlich. Um die Zusammenführung seiner Truppen mit einem anderen Teil der Roten Armee unter Führung eines mächtigeren kommunistischen Veteranen zu verhindern, rieb Mao seine eigenen Truppen auf, kommandierte sie im Kreis, quälte sie mit sinnlosen Gewaltmärschen, zwang sie, bei Eis und Kälte im Freien zu übernachten und ließ die Verwundeten im Stich. Mao hingegen ließ sich streckenweise auf einer Sänfte tragen und las viel.

Erst 1945 erreichte Mao sein Ziel. Auf dem 7. Parteikongreß wurde er zum obersten Führer der Kommunistischen Partei Chinas ausgerufen, er war nun Vorsitzender aller drei Führungsgremien, leitete das Zentralkomitee, Politbüro und Sekretariat. Die Ära des Giganten begann 1949, als er die Volksrepublik China ausrief. Zahlreiche frühere Mitstreiter waren auf der Strecke geblieben. Maos Ränkespiele hatten nichts dem Zufall überlassen.

Chinas Modernisierung verhindert

Die von Mao und seinen Getreuen erzwungene so genannte Kulturrevolution führte zu einem der größten Menschheitsverbrechen. Auch der "große Sprung nach vorne", der angekündigte Wirtschaftsaufschwung, fand nie statt. Nach Ansicht der beiden Autoren, die von vielen anderen geteilt wird, hat Mao Zedong den am Anfang des Jahrhunderts begonnenen Weg der Modernisierung Chinas für ein halbes Jahrhundert verhindert, wovon nicht zuletzt die rapide wirtschaftliche Entwicklung nach seinem Tode zeugt.

Jung Chang und Jon Hallidays überwältigendes Opus Magnum lässt sich als typische Biografie der ersten Generation bezeichnen. Sie ist voll der berechtigten Emotionen, schließlich arbeitet Jung Chang auch einen Teil ihrer eigenen Geschichte auf. Mit Sicherheit werden sich nicht alle Behauptungen halten lassen, doch ebenso sicher ist, dass künftige Studien nicht mehr hinter diese neue Interpretation Maos zurückfallen können.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

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Buch-Tipp
Jung Chang, Jon Halliday, "Mao. Das Leben eines Mannes. Das Schicksal eines Volkes", aus dem Englischen übersetzt von Ursel Schäfer, Heike Schlatterer und Werner Roller, Blessing Verlag, ISBN 3896672002