Warum ausgerechnet elf? - Teil 2
Zwischen Fasching und Freimaurerei
Schriftlich verbürgt ist das "eleven-a-side"-Prinzip des Fußballs zum ersten Mal im Jahre 1841 für ein Spiel an der Eliteschule in Eton. Warum man aber in Eton elf gegen elf spielte, verschweigen die Quellen. Das rief Verschwörungstheoretiker auf den Plan.
8. April 2017, 21:58
Als nationale Aufsichtsbehörde hatte sich die Football Association (FA) im Jahre 1863 in der Londoner "Freemasons Tavern" gegründet - und zwar durch Vertreter von elf Klubs und Schulen. Im selben Jahr wurden dort die "Gesetzestafeln des Fußballs" (Laws of the Game) mit den vierzehn Ur-Regeln des Fußballs geschaffen.
Dem Gründungsort des organisierten Fußballs in der Great Queen Street hat die Geschichtsschreibung bislang keine Bedeutung zugemessen. Betrachtet man aber die frühen Aktivitäten der englischen Freimaurer, lässt sich zumindest über die Beteiligung ihrer Loge am Gründungsakt der FA spekulieren.
Der Historiker Reinhart Koselleck hat beschrieben, wie die Freimaurer im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in einer zunehmend säkulareren Gesellschaft nach Konzepten suchten, um Werte wie Humanität, Toleranz, Gleichheit und Freiheit des Geistes durchzusetzen. Sie waren beteiligt an der Gründung verschiedener wissenschaftlicher Organisationen.
Darf es mithin als reiner Zufall betrachtet werden, wenn die weltweit erste Fußballorganisation just am selben Ort aus der Taufe gehoben wurde wie die Royal Astronomical Society (1820) oder der englische Ableger der National Geographic Society (1888)? War der Fußball gar gedacht als Modell zur Demokratiserung? Als Spielplatz, der wie kein anderer Chancengleichheit für alle Beteiligten symbolisierte?
Geheimbünde wie die Freimaurer maßen den Zahlen stets große Bedeutung zu. Noch näher kommt man dem Geheimnis der Elf, wenn man die Zahlenmystik des Mittelalters betrachtet. In den Glossaren der Heiligenlexika sowie in der im Mittelalter blühenden Allegorese - der von Theologen praktizierten Deutung biblischer Texte, die hinter dem Wortlaut einen verborgenen Sinn sucht - wurde die Elf als Zahl der Maßlosigkeit und der Sünde beschrieben.
Anders als die Zehn, die stets als Chiffre des in sich Vollendeten und Ganzen sowie als Symbol des Kreises gelesen wurde, überschreitet die Elf diese Vollendung um eins. Ganz konkret: Sie übertrat die zehn Gebote. "Elf! Eine böse Zahl. . . Elf ist die Sünde. Elf überschreitet die zehn Gebote", heißt es 1800 in den "Piccolomini" von Friedrich Schiller.
Nicht von ungefähr beziehe sich auch "der elfte Psalm auf die Sündhaftigkeit der Welt, auf das Verschwinden von Zucht und Ordnung, Treue und Glauben", meint der Fußballphilosoph Christoph Bausenwein in seinem Werk "Geheimnis Fußball".
Der entscheidende Hinweis aber ist: Bei der Elf handelt es sich um die Symbolzahl der Narren - dokumentiert nicht nur im Rheinland, wo der 11. 11. seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts den Beginn der Karnevals markiert und in dem bis zum Aschermittwoch ein "Elferrat" regiert.
Wer einmal die Gelegenheit hatte, während des Kölner Karnevals einem Fußballspiel beizuwohnen, wird die Nähe zwischen Fußball und Fasching intuitiv wahrgenommen haben. Der Clou dabei: Diese Verbindung ist historisch. Waren die meisten Fußballspiele im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit doch nicht selten ritueller Bestandteil ausschweifender Fastnachtsbräuche.
Zudem waren sie "nichts anderes als Gesetzesverletzungen", wie der Soziologe Norbert Elias nachgewiesen hat. "Wilde" Fußballspiele, die vor der Kodifizierung im Jahre 1863 eher den Charakter einer wüsten Schlägerei besaßen, wurden nicht selten von der Obrigkeit verboten, weil sie die öffentliche Ordnung gefährdeten, zu schweren Verletzungen oder gar zum Totschlag führten.
Die Belege dafür sind Legion. Berühmt ist das 1314 in London verkündete Verdikt von König Edward II., das "gewisse Zusammenrottungen" untersagte, "die von großen Fußballspielen auf den öffentlichen Plätzen herrühren". Die letzten überlieferten Verbote des Fußballs vor der Gründung der FA datieren aus den Jahren 1830 (in Berley) und 1847 (in Derby).
Als Eliteschulen wie Harrow, Eton, Rugby und die Universität Cambridge daran gingen, diese Wildheit zu zähmen, war die Elf also bereits ein gewohntes Relikt aus früherer Zeit. Und obwohl die Zahl mit negativer Symbolik besetzt war, schrieb man sie am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schließlich fest. Fortan konnte sie unbeschwert Karriere machen und zur berühmtesten Zahl des modernen Sports werden.
Dieser Text entstammt einer Kooperation mit "Anstoss", der Zeitschrift des Kunst- und Kulturprogramms zur FIFA WM 2006; ein Projekt von André Heller.
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