Vom Bizeps und dem Sentiment dazu

Als wir träumten

Clemens Meyers Debütroman "Als wir träumten" erzählt sprachgewaltig und auf 500 Seiten von einer Jugend in Leipzig Ost. Von kaputten Existenzen, Prügeleien zwischen Straßenkids und Skinheads und dem spröden Charme der Ausnüchterungszelle.

Auf der Leipziger Buchmesse und nachher in den gesammelten Feuilletons Deutschlands umschwirrten Clemens Meyer Literaturkritiker und Journalisten wie die sprichwörtlichen Motten das Licht. Das lag vermutlich vor allem daran, dass Clemens Meyer so aussieht wie einer, der erlebt hat, was er beschreibt.

"Wenn ich das alles erlebt hätte, was ich da beschreibe, würde ich nicht hier sitzen", ist mittlerweile Meyers Standardsatz, ergänzt aber: "Von oben herab kann man so etwas nicht schreiben. Das ist eben die Schwierigkeit, Erlebtes in Literatur umzuwandeln."

Ich legte meine Beine auf seinen Rücken, packte seinen Kopf und schlug ihn immer wieder auf meine Stirn. Ich fühlte nichts mehr. "Bitte, nehmt in weg, nehmt ihn von mir weg!" Er heulte, und mein Gesicht wurde nass, vielleicht hatte ich auch seine Augen kaputt gemacht. (...) Ein Stück Holz fuhr mir in den Hals, ich konnte nicht mehr atmen und schrie. Ich war erstaunt, wie leise ich schrie.

Gewalt und Verbrüderung

Kämpfe. Immer wieder Kämpfe. Prügeleien auf der Straße, Keile auf dem Schulhof, auf die Fresse vor dem Fußballstadion. Dass ein Mann sich mit seinen Fäusten verteidigen müsse, ist ein Mythos, der Meyers Roman durchzieht. "Als wir träumten" ist in erster Linie vermutlich ein Jungens-Buch; es handelt von Gewalt und Verbrüderungen; von Mädchen, die auf dem Strich enden und den harten Jungs die Herzen brechen; vom Schmutz der Straße und den wenigen Wegen, die da rausführen.

Eine der Hauptpersonen in Meyers Roman heißt Rico, und Rico ist Boxer. Ein viel versprechender, der um die Stadtmeisterschaften mitboxt und groß rauskommen möchte. Ein ganzes Kapitel widmet Meyer ihm und dem Boxen. Und zeigt, wie Rico es nicht schafft, sich an die Ringregeln zu halten, wie er an Drogen und sich selbst scheitert - und sich fortan nur noch auf der Straße prügelt.

Ehrenkodex der harten Jungs

Meyer verliert nie den Boden - dank seiner fraglos äußerst disziplinierten Stilistik und seiner Fähigkeit, die vielen Fäden und Szenen seiner Erzählung zusammenzuhalten. Die Figuren von Clemens Meyers Buch sind Waisen, die bei Eltern wohnen. Irgendwo zwischen den Systemen des real existierenden Sozialsmus und des nicht weniger realen Kapitalismus verloren Gegangene.

Interessant an diesem hardboiled-Roman, in dem die Gewalt vorherrscht, ist auch eines: Was nach außen prügelt, säuft, spuckt und beißt, kennt nach innen klare Regeln: den Ehrenkodex der harten Jungs. Der Begriff der "Freundschaft", ja der "Bruderschaft" ist bei Meyer hochgradig mit Pathos aufgeladen. "Das ist so in ihrer Welt. Um der rauen und schmutzigen Umwelt, in der sie aufwachsen und leben, etwas entgegenzusetzen", so der Autor. "Aber tragischerweise hält ja selbst das nicht."

Illusion und Desillusionierung

"Als wir träumten" ist, trotz aller Gewalt und der authentischen Beschreibung beschädigter Leben, ein Stück romantischer Literatur. Kaum eine Seite, wo sich die harten Jungs nicht gegenseitig in den Arm nehmen und sich Mut zusprechen. Wo Desillusionierung stattfindet, muss es die Illusion gegeben haben.

Ein Banden-Epos hat Meyer geschrieben, in dem seine Figuren niemals Objekte literarischer Fürsorge sind. Sich seine eigene Geschichte vom Leib geschrieben, wie sie ihm durch die Tattoos auf seiner Brust noch immer auf den Leib geschrieben ist.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 2. Juli 2006, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Clemens Meyer, "Als wir träumten", S. Fischer Verlag, ISBN 3100486005