Zur Person Hans Schabus, Bildhauer

Wenn der Berg zum Propheten kommt

Hans Schabus leitet Expeditionen. Exemplarisch reist er mit seinen selbst gebauten Vehikeln für uns durch imaginäre Welten. Dabei sind seine Fahrten nicht rasant, eher das Gegenteil. Seine Reisen führen in äußerlich still stehende Räume.

Das "Aleph" ist für den argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges der Ort, an dem "ohne sich zu vermischen, alle Orte der Welt sind, aus allen Winkeln gesehen". Im Keller eines Freundes in Buenos Aires findet er diesen Ort, einen Ausblick von nicht einmal drei Zentimetern Durchmesser:

Ich sah das belebte Meer, ich sah Morgen- und Abendröte, ich sah die Menschenmassen Amerikas, ich sah ein silbriges Spinnennetz im Zentrum einer schwarzen Pyramide, sah ein aufgebrochenes Labyrinth (das war London), sah unzählige ganz nahe Augen, die sich in mir wie in einem Spiegel ergründeten, sah alle Spiegel des Planeten, doch reflektierte keiner ... ich sah aufgewölbte Wüsten am Äquator und jedes einzelne Sandkorn darin, sah in Inverness eine unvergessliche Frau, sah das unbändige Haar, den hochgemuten Körper, sah eine Krebsgeschwulst in ihrer Brust, sah in einem Landhaus in Adrogué ein Exemplar der ersten englischen Pliniusübersetzung, die von Philemon Holland, sah gleichzeitig jeden Buchstaben auf jeder Seite...

Der Bildhauer Hans Schabus ist auf der Suche nach solchen Orten und baut sie sich dann auch gleich selbst: wenn er etwa in seinem Wiener Atelier monatelang immer tiefer gräbt, um am Ende einen "Schacht von Babel" (eine Referenz auf Franz Kafka) zu haben, einen Ort, von dem aus man diesen besonderen Blick auf die Welt bekommt, dieses besondere Gefühl für seinen Platz auf diesem Planeten. Zitat Franz Kafka: "Wenn es möglich gewesen wäre, den Turm von Babel zu erbauen, ohne ihn zu erklettern, es wäre erlaubt worden..."

Material im Raum
Für den Gironcoli-Schüler Schabus ist Bildhauerei die Organisation von Material im Raum. Was da so nüchtern klingt, sind oft Aktionen voller Poesie, Scharfsinnigkeit, Entdeckerfreude und körperlichem Einsatz. Die Grube im Atelier ist am Ende fünf Meter tief. Der Schuttberg füllt den Raum. Hans Schabus werkt allein - ein Bildhauer im klassischen Sinn mit radikal unklassischer Herangehensweise an seine Kunst.

Schabus hinterfragt die Kunst und vor allem ihre Räume: Sie sind kein neutrales Display für wechselnde Kunstwerke, sondern Orte, um die sich zahllose Geschichten ranken, Zahlen, Daten, Fakten, aber auch Anekdoten. Schabus sammelt und analysiert, was immer er davon auftreiben kann, haut dann das gerade gewonnene Bezugssystem über den Haufen, schlägt sich eine Bresche und organisiert alles neu: Dabei wird jedes Werk zum Aleph, verbirgt in seinem Inneren, wenn nicht die ganze Welt, so doch zahllose Referenzen.

Einprägsamer "Berg"

Das vielleicht einprägsamste und meistbesprochene Werk auf der Kunstbiennale in Venedig 2005 war "Der Berg", eine riesige Konstruktion, die Hans Schabus ganz über den denkmalgeschützten österreichischen Hoffmann-Pavillon gezimmert hat. Ein "Landmark". Ein Monument auf Zeit. Voller Verweise auf den Ort des Geschehens, die Insel Sant' Elena, die jüngste venezianische Insel, auf der die älteste Kunstbiennale der Welt ihren Stammplatz hat; auf die Natur von Länderpavillons bei internationalen Großausstellungen, auf den Platz, den Österreich hier einnimmt, am Ende des Geländes.

"Das letzte Land", so nennt Schabus seinen Biennale-Beitrag; und letztendlich und offensichtlich verweist dieser Berg auf den Mythos Berg und seine tiefösterreichischen Ausformungen. "Das letzte Land" besteht aus vielen Schichten. Hans Schabus hat sie erforscht, erarbeitet und übereinander gelegt. Die Komplexität dieser Arbeit ist in der Konstruktion im Inneren des Berges angedeutet: ein Labyrinth aus Stiegen und Gängen, das bei richtiger Benützung nach oben führt, zum Ausblick, zum Überblick, zum Gipfel.

Spannende Expedition
Bevor er sich ans Bauen, Umschichten, Durchgraben und Fluten macht, erkundet Schabus genauestens das Terrain, als hätte er eine ebenso gefährliche wie spannende Expedition vor sich. Und oft ist die Reise, der Weg das Ziel.

Oft nimmt Schabus den Betrachter mit auf seine Reisen, zwingt ihn geradewegs dazu: Bei seiner Ausstellung in der Wiener Secession 2003, "Astronaut (komme gleich)" hat er den zentralen Zugang zum berühmten Hauptraum des Olbrich-Gebäudes einfach zugemauert. In diesen Raum gelangte man nur über den Keller. Zentrales Ausstellungsobjekt war dann ein Nachbau seines eigenen Ateliers - als verschlossene Zelle inmitten des großen Raumes.

Auch zum "Rendezvousproblem" im Kunsthaus Bregenz mussten die verschiedenen Ebenen der Ausstellung vom Publikum sukzessive erklommen werden. Sein Gegenüber fordert Schabus dazu auf, die Barrieren, die er hintersinnig baut, zu überwinden. Als Belohnung für die Hartnäckigkeit winkt eine besondere Erfahrung an einem besonderen Ort, eventuell sogar ein Aleph.