Suche nach Heimat

Spiele

Ulrike Draesners aktuelles Buch "Spiele" ist ein spannend erzählter Roman mit ungeheurem Tiefgang, der sogar das Thema Terrorismus auf neue und sensible Weise zu behandeln weiß, und den Begriff "Heimat" neu zu deuten versucht.

Ein Riesenpuzzle versucht die Protagonistin in Ulrike Draesners neuem Roman "Spiele" zusammenzubauen: Katja ist eine angesehene Fotojournalistin, sie reist um die Welt, ist überall und nirgendwo zu Hause. Bisher hat sie dieses Dasein genossen - nun aber, in der Mitte ihres Lebens, wird ihr klar, dass sie eine Heimat braucht.

Manchmal das Gefühl, ich will kein Flugzeug mehr von innen sehen! Nie mehr will ich in einem Flugzeug etwas essen müssen! Nie mehr in einem Flugzeug (13 Stunden!) meine Tage bekommen. Dann wieder ein Festmahl irgendwo in einem alten Stadtpalast oder ein großartiger Sonnenaufgang an Buddhas Baum. Glanz und Elend eines Reisens ohne Alternative. Denn so war es bei ihr: Wohin sollte sie "heim"? Lief sie doch gerade weg vor jedem Zuhausegefühl, als stehe es ihr nicht zu; wenn es sich entwickelte, unterdrückte sie es, am besten war, es gar nicht erst aufkommen zu lassen.

München, Stadt voller Erinnerungen

Da sich die Sehnsucht nach einer Heimat nicht länger unterdrücken lässt, versucht Katja, sich in München niederzulassen, der Stadt ihrer Kindheit - und einer Stadt voller Erinnerungen, vor allem an das Jahr 1972. Damals war sie 13 Jahre alt, verwirrt und gekränkt, als ihr Vater eine neue Freundin fand, und hoffnungslos verliebt in den Nachbarssohn Max, der sie vor ihren Freunden so sehr blamiert hat, dass sie sich bitter an ihm rächte.

Das große, tragische Ereignis jenes Jahres, die blutige Geiselnahme bei den Olympischen Spielen, nahm sie nur am Rande wahr; es bildete so etwas wie einen Bühnenhintergrund für Katjas Erwachsenwerden. Nun, Jahre später, wird Katja klar, dass die kleine und die große Geschichte zusammenhängen. Vielleicht ist Max nur ihretwegen Polizist geworden und bei dem Einsatz in Fürstenfeldbruck verwundet worden? Sie beginnt zu recherchieren, taucht ein in die Vergangenheit. Katjas Nachforschungen sind tatsächlich nichts anderes als eine Suche nach ihrer Heimat, und eben dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman.

In die Katastrophe bei den Olympischen Spielen taucht Draesner ebenfalls ein - eine Katastrophe, die sie selbst als Kind in München miterlebt hat. Sie habe es als unheimliche Parallele empfunden, sagt sie, dass auch die Attentäter im Grunde auf Heimatsuche waren: "Diese jungen Männer sind in Flüchtlingslagern aufgewachsen und die handeln, weil sozusagen ihr Volk, aber natürlich auch sie und ihre Familien, Heimat suchen", so Draesner.

Spannend erzählt

"Spiele" ist ein spannend erzählter Roman mit ungeheurem Tiefgang, der sogar das Thema Terrorismus auf neue und sensible Weise zu behandeln weiß; ein Buch, das nicht nur erzählt, sondern auch auf- und wachrütteln will, das eine gesellschaftspolitische Verantwortung wahrnimmt und sich nicht scheut, auch Tabuthemen aufzugreifen - so wie eben jenen vielfach noch negativ belegten Heimatbegriff: In den 1970ern hätte niemand das Wort "Heimat" in den Mund genommen, so Draesner, "aber aufgrund der Globalisierung, der Beschleunigung der Gesellschaft, muss dieses Wort sich auch bewegen, es verändert sich."

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Ulrike Draesner, "Spiele”, Luchterhand Verlag, ISBN 3630872085

Link
Ulrike Draesner