Francesco de Gregoris Meisterwerk

Klänge für den Sommer

Welche Musik soll man hören, wenn die Quecksilbersäule steigt und steigt? Vielleicht die Lieblings-LP der Italiener: "Titanic" von Francesco de Gregori. Sie wurde von Zeitungslesern zum schönsten Album der letzten 30 Jahre gewählt.

Ausschnitt aus der LP "Titanic"

Die LP "Titanic" des römischen Cantautore Francesco de Gregori wurde von den Lesern der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" zum schönsten Album der letzten 30 Jahre gewählt.

Titanic, so sagt De Gregori heute, sei eine dunkle Platte gewesen, wenig aufheiternd, nicht leicht genießbar, keiner habe sich beim Erscheinen vor Begeisterung das Hemd vom Leib gerissen, aber sie habe sich offenbar ins kollektive Bewusstsein der Italiener eingebrannt. Und sie habe Haltbarkeit, Bestand, Konsistenz bewiesen. Er selbst halte ja ein anderes seiner Alben für wichtiger, Rimmel aus dem Jahr 74, aber das sei eben schon über 30 Jahre alt und damit aus dem Rennen.

Der Fußballjahrgang 68

Auch der Fußball darf auf "Titanic" nicht fehlen. Der dritte Cut auf Seite 1 der Platte von Francesco de Gregori heißt "La leva calcista della classe 68". Die Einberufung des Fußballjahrgangs 68. Es erzählt die Geschichte des 12-jährigen Nino, der auf staubigen Plätzen in der prallen Sonne kickt und gar keine Angst davor hat, einen Elfmeter zu schießen.

Angst hat er aus einem anderen Grund: Wer weiß, heißt es im Text, wie viele er schon gesehen hat und wie viele er noch sehen wird von den traurigen Fußballern, die niemals gewonnen haben und ihre Schuhe an den Nagel irgend einer Wand gehängt haben, und die jetzt in der Bar herumstehen und lachen. Aber der Trainer ist mit ihm zufrieden und Nino mit den schmalen Schultern wird nächstes Jahr jedenfalls noch spielen mit dem Leiberl mit der Nummer 7.

Enzensberger als Inspiration

Hans Magnus Enzensberger schreibt im Ersten Gesang seines Versepos "Der Untergang der Titanic, eine Komödie":

Das war der Anfang.
Der Anfang vom Ende
ist immer diskret.
Es ist elf Uhr vierzig
an Bord. Die stählerne Haut
unter der Wasserlinie klafft,
zweihundert Meter lang,
aufgeschlitzt,
von einem unvorstellbaren Messer.
Das Wasser schießt in die Schotten.
An dem leuchtenden Rumpf
gleitet, dreißig Meter hoch
über dem Meeresspiegel, schwarz
und lautlos der Eisberg vorbei
und bleibt zurück in der Dunkelheit.


Dieses große Enzensberger-Gedicht, sagt Francesco de Gregori, habe ihn zum Album Titanic angeregt. Denn, und jetzt kommen wir zum Kern dieser Platte, in ihrem Inneren, in ihrer Mitte, ist sie sozusagen ein Album im Album, drei Stücke lang geht es tatsächlich um den Untergang des Titel gebenden Schiffs: In den Liedern "Die Kleidung eines Heizers", "Titanic" und "Die Muskeln des Kapitäns".

Ein Symbol für den Hedonismus der 80er-Jahre

Nicht die Beschreibung des Untergangs habe ihn interessiert, sagte de Gregori jüngst in einem Interview, bevor das Schiff untergehe, höre er eigentlich zu singen auf, ihm sei die Beschreibung der Menschen an Bord am Herzen gelegen, vom Kapitän bis zum Schiffsjungen.

Wenn de Gregori von der Vergangenheit singt, denkt er an die Gegenwart, analysiert Gianni Borgna in seinem Standardwerk "Die Geschichte der italienischen Canzone". Und de Gregori selbst bestätigt das kürzlich in einem Interview: Das Schiff, die Titanic, sei für ihn damals, 1982, im Entstehungsjahr der Platte, ein Symbol für den Hedonismus der 80er-Jahre gewesen, für ein Bewusstsein, dem nur die Vergnügungssucht wichtig gewesen sei und der Glaube an die Möglichkeiten der Technologie.

Hör-Tipp
Spielräume Spezial, Sonntag, 18. Juni 2006, 17:10 Uhr

Links
Francesco de Gregori
Wikipedia - Francesco de Gregori
Wikipedia - Hans Magnus Enzensberger