Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft

Reisebericht eines T-Shirts

Pietra Rivoli, Wirtschaftsprofessorin an der Georgetown University in Washington, kaufte sich ein x-beliebiges T-Shirt. Sie wollte es genau wissen und verfolgte die einzelnen Stationen von den Bauwollfeldern in Texas bis zu einem Flohmarkt in Tansania.

Pietra Rivoli wollte es genau wissen. Sie fuhr nach Fort Lauderdale in Florida, um sich um 5 Dollar 99 ein T-Shirt zu kaufen.

Es war weiß und mit einem knallbunten Papagei bedruckt, darunter stand in Schreibschrift "Florida". Ich bezahlte an der Kasse, trat hinaus in die Sonne und betrachtete das T-Shirt durch die Plastikverpackung. "Du bist es", dachte ich.

Start in Smyer, Texas

Woher kommst du und wohin wirst du gehen, waren nun die Fragen, die im Raum standen und selbst erteilter Auftrag zugleich. Am Etikett stand "Made in China", doch die Reise beginnt unvermutet bei Nelson und Ruth Reinsch auf ihrer Baumwoll-Farm in Smyer, Texas. Was den Anbau von Baumwolle angeht, sind die USA seit mehr als 200 Jahren unangefochtener Weltmarktführer. Kein Wunder, meinen Kritiker, sind doch allein die amerikanischen Subventionen höher als das gesamte Bruttosozialprodukt vieler Baumwolle produzierender Länder Afrikas. Dazu kommt die Ausfallversicherung der Regierung.

Vor fünf Jahren verloren die Reinschs durch einen Hagelsturm ihre gesamte Ernte. Die Zahlungen der Katastrophenhilfe sorgten dennoch für ruhigen Schlaf. In Indien begingen fast zur gleichen Zeit rund 500 Bauern Selbstmord, weil Maden die letzten Reste ihrer Baumwolle auffraßen.

Händler hatten die Bauern, auf Kredite mit 36 Prozent Zinsen, mit einem falschen Pestizid "versorgt". Auch die Gebrauchsanleitung war falsch, doch die konnte ohnehin keiner lesen.

Weiter nach China und zurück in die USA

Von Texas gelangt der Rohstoff über Kalifornien per Frachtschiff nach Schanghai, wo die Baumwolle in einem staatlichen Betrieb landet: der Garnfabrik Nr. 36. Unter ohrenbetäubendem Lärm und staubigem Dampf wird hier die Baumwolle gesponnen. Am anderen Ende von Chinas Boomtown wird in der Brightness-Kleiderfabrik Nr. 3 gewoben, in Stücke geschnitten, diese zu einem T-Shirt vernäht und schließlich das "Made in China"-Etikett angebracht. Die Arbeit verrichten ausschließlich Frauen vom Land. Sie haben keine Rechte und arbeiten 25 Prozent mehr als die Arbeiter in der Stadt - und das für 40 Prozent weniger Lohn.

Das fertige, weiße T-Shirt wird zurück in die USA geliefert, in Miami mit dem Papageien-Druck versehen und schließlich verkauft.

Letzte Station: Tansania

Nachdem die Autorin des Kleidungsstücks überdrüssig geworden ist, tritt es die letzte Reise an. Von einem Altkleider-Container in Washington geht es nach Daressalam in Tansania, dem weltweit viertgrößten Abnehmer von Second-Hand-Kleidung aus den USA. Die Händler am Manzese-Markt kaufen die Kleidung in 50-Kilo-Ballen und hoffen, dass sich darunter ein paar Juwelen befinden. Hoch im Kurs sind T-Shirts von Adidas, Nike oder Reebok, denn die Menschen in Tansania sind genauso modebewusst wie Europäer oder Amerikaner. Nur die Marktmechanismen sind hier anders gestrickt.

Dockers kosten in den kleinen Größen mehr als in den großen, weil den meisten Tansaniern der amerikanische Bauch fehlt. Auch beinahe identische Polohemden können unterschiedliche Preise haben, weil beliebtere Farben teurer sind. Am Ende des Monats, wenn viele Arbeiter ihren Lohn bekommen, tendieren die Preise nach oben, während sie zwischen den Zahltagen wieder sinken.

Trickreiche -Strategien

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Pietra Rivoli gibt zu, dass sie mit dem Gedanken in die Recherchen gegangen ist, dass es einfach nur notwendig sei, die freie Marktwirtschaft frei nach Adam Smith zu erklären und zu "kapieren". Nach ihrer T-Shirt-Reise sieht sie selbst vieles anders. Globalisierung bedeute nicht, dass die Hersteller unbedingt ihre Waren dort produzieren lassen, wo es am billigsten ist, es gehe viel mehr um die bestmögliche Ausnutzung aller wesentlichen Faktoren. In fundierten historischen Rückblicken zeigt sie, dass die Bedeutung der Märkte sowohl von radikalen Globalisierungsbefürwortern, als auch von Globalisierungsgegnern überschätzt wird.

Obwohl die Lebensgeschichte meines T-Shirts unzweifelhaft durch den Wettbewerb auf verschiedenen Märkten beeinflusst wurde, haben die zentralen Ereignisse seines Lebens weniger mit den Kräften des Marktes zu tun, als vielmehr mit Politik, mit Geschichte und mit trickreichen Strategien, den Markt zu umgehen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Pietra Rivoli, "Reisebericht eines T-Shirts. Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft", aus dem Amerikanischen übersetzt von Christoph Bausum, Econ Verlag, ISBN 3430177650