Der Meister der Dissonanzen

György Ligeti ist tot

Der österreichische Komponist György Ligeti ist 83-jährig gestorben. Bekannt wurde Ligetis Musik durch Stanley Kubricks Film "2001 - Odyssee im Weltraum". Der aus Ungarn stammende Musiker war einer der prägendsten Gestalten der zeitgenössischen Musik.

Komplexität und Virtuosität waren Ligetis Maximen

Schon den Frankfurter Musikpreis hatte György Ligeti im vergangenen Jahr nicht mehr persönlich entgegen nehmen können. Seine angeschlagene Gesundheit machte es ihm unmöglich, für die Auszeichnung für sein Lebenswerk von Hamburg an den Main zu reisen. Doch trotz Krankheit und einiger Operationen war der 83-jährige Komponist bis zuletzt kreativ tätig. Seine stete Suche nach einer neuen Musiksprache brachte ihm große Bewunderung ein. Der österreichische Komponist verstarb Montagfrüh nach langer, schwerer Krankheit in Wien.

Ligeti war eine der großen Gestalten der zeitgenössischen Musik und der Begründer der Klangflächenkomposition. Zu seinen bekanntesten Werken zählt die 1978 uraufgeführte Oper "Le Grand Macabre". Einem Massenpublikum wurden Kompositionen Ligetis durch den Soundtrack zu Stanley Kubricks Film "2001 - Odyssee im Weltraum" bekannt. Wobei Ligeti die wenig zufrieden stellende finanzielle Abfindung, 3.000 US-Dollar, erst vor Gericht erstreiten musste.

Ligeti von Kubrick begeistert

Obwohl Kubrick so wenig für die Rechte-Nutzung zahlte, war Ligeti davon begeistert, wie der Regisseur seine Musik später etwa auch noch in "Eyes Wide Shut" einsetzte. Denn Ligetis visionäre, utopische Dimension seiner Werke wurde bei Kubrick noch besser erkennbar.

Ein Leben voller Risiken

"Mein Leben, in der Nazizeit und unter kommunistischer Herrschaft, war voll mit Risiken", erinnerte sich Ligeti in einem Interview über seine Musik. "Ich glaube, das spiegelt sich, dieses Gefühl bleibt". Zwischen europäischer Avantgarde und späterer Rückbesinnung auf Tradition, als selbst durchaus streitbarer Geist auch des "Verrates an der Avantgarde" bezichtigt, wurde Ligeti zu einer der Schlüsselgestalten der zeitgenössischen Musik.

Komplexität und Virtuosität waren zwei Elemente, die Ligeti an Musik besonders wichtig waren, beides zwar "kein Selbstzweck", aber "etwas, wo man Neues finden kann". Auch außereuropäische Musik, vor allem die hoch komplexen Rhythmen von afrikanischer Musik südlich der Sahara, spielte eine wichtige Rolle im Schaffen Ligetis.

Vater starb im Konzentrationslager

Ligeti erzählte nicht sehr oft über seine Flucht aus dem kommunistischen Ungarn und darüber, dass er durch den Holocaust Angehörige seiner jüdischen Familie verloren hat.

Diese Themen kamen nur über Umwege zur Sprache. Etwa im Zusammenhang mit der Frage, warum zeitgenössische Musik noch immer zu wenig gehört wird: "Das große Publikum ist an Tonalität gewöhnt. Mein Vater, den ich ganz ganz ganz zutiefst geliebt und respektiert habe, starb im Konzentrationslager mit 54 Jahren. Für ihn endete die Musik mit Schubert. Wagner war unverständlich. Es gibt viele Leute, die so denken."

Geboren in Siebenbürgen

Ligeti wurde am 28. Mai 1923 in Dicsöszentmarton (heute Tirnaveni) in eine ungarisch-jüdische Familie in Siebenbürgen (Rumänien) geboren. Er wuchs in Klausenburg (Cluj) auf, wo er die ungarische Volksschule und ein rumänisches Gymnasium besuchte. Schon als Kind stellte er sich nach eigenen Angaben ständig neue Musikstücke vor. Ab 1936 erhielt er Klavierunterricht, im Alter von zehn Jahren schrieb er seine ersten Kompositionen. Nach der Matura studierte Ligeti bis 1943 Musiktheorie (bei Ferenc Farkas) und Orgel am Klausenburger Konservatorium.

1944 wurde er zum Arbeitsdienst der ungarischen Armee einberufen. Im April 1945 traf er seine Mutter wieder, die Auschwitz überlebt hatte, während sein Vater in Bergen-Belsen und sein Bruder in Mauthausen umgekommen waren. Ab 1945 erhielt Ligeti an der Budapester Musikhochschule bei Sandor Veress, Pal Jardanyi und Farkas Unterricht in Komposition und Musiktheorie. 1956 verließ er Ungarn "mit einer Aktentasche mit ein paar Partituren und einer Zahnbürste" unterm Arm.

Flucht nach Wien

Nach seiner Flucht nach Wien folgte er einer Einladung an das Studio für elektronische Musik des WDR in Köln, wo er bis 1959 eng mit der avantgardistischen Kompositionsgruppe um Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono zusammenarbeitete. Von 1959 bis 1969 wohnte der österreichische Staatsbürger Ligeti hauptsächlich in Wien, lehrte aber auch bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und an der Stockholmer Musikhochschule. Anschließend lebte er in Berlin und war 1972 Composer in Residence an der Stanford University in Kalifornien (USA).

Von 1973 bis zu seiner Emeritierung 1989 leitete er eine Kompositionsklasse an der Hamburger Musikhochschule. Unterrichtet habe er "nicht gerne. Aber ich musste immer unterrichten. Als Dirigent war ich nicht begabt, das habe ich aufgegeben."

Klangflächen-Kompositionen

György Ligetis Konzeption bereicherte die Musikwelt um in sich verwobene Klangflächen-Kompositionen, sein Orchesterstück "Atmospheres" wurde 1961 in Donaueschingen so begeistert gefeiert, dass es wiederholt werden musste.

Den Abbau von Komplexität und die physikalische Maßeinheit der Unordnung, Entropie, etwa illustriert sein "Poeme symphonique" für 100 Metronome, die zu Beginn eine nicht differenzierbare Klangfläche formen, nach und nach jedoch verstummen - und erst dann immer komplexere rhythmische Strukturen preisgeben. "Ich hätte nie geglaubt, dass das mehrere Aufführungen haben wird", so Ligeti selbst.

Streit mit Sellars

Zu einem Streit mit dem Regisseur Peter Sellars kam es, als Ligeti seine einzige Oper "Le Grand Macabre" von 1978 für die Salzburger Festspiele 1997 völlig neu konzipierte.

Die Aufführung wurde zu einem großen Erfolg, und doch fühlte sich der Komponist vom Regisseur "betrogen" und attackierte den Regiestar wegen "Falschmünzerei" und "semantischer Subversion".

Zahlreiche Auszeichnungen

In den letzten Jahren wurde Ligeti mit Auszeichnungen geradezu überhäuft - darunter der Österreichische Staatspreis (1990), der Erste Preis des Internationalen Unesco-Wettbewerbs (1969), das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich (1987), der Musikpreis des International Music Council (IMC) der Unesco (1997), der renommierte Sibelius-Preis der Jenny und Antti Wihuri-Stiftung (2000) und der Polar-Preis (2004).

Daneben war Ligeti Mitglied des Österreichischen Kunstsenats und Ehrenmitglied zahlreicher Orchester und Vereinigungen.

Schüssel, Morak und Mailath würdigen Ligeti

"György Ligeti war seit Jahrzehnten einer der Wortführer der neuen Musik in Europa und hat die Tonkunst mit unverwechselbaren Klangfarben bereichert. Er hat in Österreich vor fünfzig Jahren seine zweite Heimat gefunden und hier auch ein breites Publikum für seine Kompositionen begeistert. Er ist 1956 aus Ungarn geflüchtet und wurde rasch einer der großen Österreicher in der Welt der Musik des 20. Jahrhunderts." Mit diesen Worten würdigten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP) den Komponisten György Ligeti.

"Die Musikwelt hat einen ihrer größten zeitgenössischen Komponisten verloren", so Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) in einer ersten Reaktion auf den Tod von György Ligeti. "Ligeti komponierte in allen Sparten - von der Kammermusik bis zur Oper. Er war einer der wichtigsten Vertreter bei 'wien modern' - dem Wiener Festival für Gegenwartsmusik - und steht in einer Reihe mit Bartok, Stockhausen und Boulez."

"Abseits des Mainstream, abseits der Avantgarde"

Hamburgs Opernintendantin Simone Young zeigte sich betroffen über den Tod des Komponisten. "Ich habe es immer bewundert, mit welcher Klangfantasie György Ligeti seinen Weg abseits des Mainstream, abseits der Avantgarde gesucht und gefunden hat", sagte die australische Dirigentin.

Mit dem Tod Ligetis verliert die Musikwelt nach den Worten des deutschen Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) einen der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. "Ligeti war ein Meister der musikalischen Klangfarben. Seine Kompositionstechniken haben das Klangspektrum der Neuen Musik erweitert und bereichert."

Mehr dazu im Kulturjournal in Ö1 Inforadio

Hör-Tipps
Österreich 1 ändert in memoriam György Ligeti sein Programm:
Apropos Klassik, Montag, 12. Juni 2006, 15:06 Uhr

Zeit-Ton, Montag, 12. Juni 2006, 23:05 Uhr

Aus dem Konzertsaal, Donnerstag, 15. Juni 2006, 19:30 Uhr

TV-Tipp
Grenzklänge - Das Phänomen G. Ligeti, Donnerstag, 15. Juni 2006, 9:35 Uhr, ORF 2

Mehr dazu in tv.ORF.at

Link
György Ligeti