Zum 100. Geburtstag von Josephine Baker

Die Tänzerin im Bananenrock

"Triumph der Geilheit, Rückkehr zu den Sitten der Unzeit. Manifestation des modernen Geistes" - riefen die Moralisten. "Ist sie Tier oder Mensch oder Übermensch oder alles zugleich?", fragten sich die Kritiker über den seinerzeitigen "Black-Superstar".

Bakers "Don’t touch my tomatoes“ (Ausschnitt)

Es war nicht etwa ein hippes Underground-Magazin - es war die Wochenzeitung "Die Zeit“, die schon Ende 2005 ein Josephine-Baker-Jahr ausrief: 2006 sei nicht nur das Jahr Heines, Freuds, Rembrandts und Mozarts, sondern auch das Josephine-Baker-Jahr.

Der erste "Black-Superstar"

Josephine war der erste "Black Superstar“, vielfach und hoch geehrt, der bestbezahlte Revuestar ihrer Zeit. Sie war ganz oben und hatte doch keine Chance. Ihre Gegner hatten immer Recht. Sie wurde als Eroberin empfunden - "eine Herrscherin von des Snobismus Gnaden, die die Negerkonjunktur auf das Glücklichste ausnützte und mit der Hautfarbe ins Schwarze traf“. Ihre Weiblichkeit und "Blackness“ erregten Rassismus und Sexismus. Das Feindbild bestand aus "Nacktheit im leidenschaftlichen abgehackten Rhythmus“ und hieß Jazz.

Weiße Rezensenten-Männer gestanden ihr nicht zu, dass ihre Kunst als solche gesehen wurde: Ihre tänzerische Innovationskraft und Virtuosität nannten sie von "barbarischem Reiz“, ihre Sinnlichkeit "kannibalisch“, ihre Musikalität "hemmungslos“, ihre Grazie "tierhaft“. Ihr Erfolg beim Publikum sei "Überrumpelung“, war Zeichen eines Zeitgeschmacks - einer Zeit, die "den inneren Halt verloren hatte und vor sich selber in rohe Veräußerlichung floh“.

Lebender Beweis für den Sittenverfall

Im österreichischen Parlament entspann sich anlässlich ihres Wien-Gastspieles im Schubertjahr 1928 eine heftige "Tanzdebatte“: Die christlich-sozialen Abgeordneten fürchteten, dass die Jazzband-Musik - sowohl jene der "Josefine“ Baker wie auch jene des Ernst Krenek in "Jonny spielt auf“ - die klassische Oper verdrängen würde. Sie hatten Angst um die nationale Würde und um den guten Wiener Geschmack. Der Einwand einer sozialdemokratischen Abgeordneten, dass ja auch der Walzer einmal verpönt gewesen war, galt den Christdemokraten wenig. Sie ließen unweit des Theaters Sühne-Gottesdienste lesen, was den Zulauf zur Revue noch erhöhte:

"Ein Jesuitenpater hält in seiner Kirche sogar eine feurige Predigt gegen den Charleston, und am Tag meiner Ankunft läuten die Glocken Sturm! Der Jesuitenpater hat ein volles Haus, aber ich auch“, lächelte die Baker damals und freute sich, dass bereits eine Straße im ersten Bezirk nach ihr benannt sei. Es gab Baker-Puppen, Baker-Parfüm, sogar Baker-Haar-Fix, um ihre Frisur nachzuahmen: "Gewiss, man hat mir die Einreise in die Stadt nicht verwehrt, aber ich wurde als der lebende Beweis für den Sittenverfall dargestellt“.

Aus der Stadt der "hunderttausend Neger"

Sie hieß eigentlich Freda Josephine McDonald, wurde 1906 in Saint Louis geboren, der Stadt der "hunderttausend Neger am Mississippi“, wie sie selbst sagte. Sie war die uneheliche Tochter einer Waschfrau, die von schwarzen Sklaven, Indianern und von einem spanischen vagabundierenden Musiker abstammte. Sie hatte kaum Schulbildung und wurde Tänzerin, weil sie "in einer kalten Stadt geboren wurde und in ihrer ganzen Kindheit entsetzlich gefroren hatte“.

Berühmt und bestbezahlt wurde sie durch ihr "Bananenrock-und-sonst-nichts-Kostüm“. Sie sang "Don’t touch my tomatoes“ und "Chiquita Madame“. In "Danse Sauvage“ gab sie die tote Beute eines schwarzen Jägers, fast nackt auf der Bühne, nur mit Federn bedeckt. Trommelschläge erweckten die Beute zum Leben, die Wiedererweckte umschmeichelte nackt den ebenso nackten Jäger.

Geboren, um zu tanzen

Sie gab dem europäischen Publikum, was es sich von ihr wünschte: die Inszenierung des Primitiven. "Ich tue, was mir passt“ - sie ging mit einem Leoparden durch Paris, hatte zahlreiche Affären, war sechs Mal verheiratet, das erste Mal mit dreizehn.

Schon zu Lebzeiten war sie eine Legende und das Thema einer Revue: "Ich bin geboren, um zu tanzen. Nur dafür. Tanzen ist Leben. Ich möchte einmal sterben, atemlos, völlig erschöpft, am Ende eines Tanzes, aber nicht auf der Bühne“.

Ihr großes humanitäres Anliegen wurde mit der Mitgliedschaft in der französischen Ehrenlegion gewürdigt. Sie war Mitglied der Résistance gewesen und hat durch ihre zahlreichen, adoptierten Kinder die Überwindung von Rassenhass und Diskrimierung gelebt.

Sie hatte keine Chance ...

... und wusste darum. Sigmund Freud sah die Frauen, zurückgedrängt in den Hintergrund, als feindlich für die Zivilisation. Auch Adolf Loos - der ein Haus für die Baker plante - kommt zum Schluss, dass allein das männliche Geschlecht moderne Kultur repräsentieren könne.

Sie hatte keine Chance, nützte sie aber gut. In einem autobiografischen Prosagedicht dichtete sie:

Mit acht arbeitete ich schon, um meine Familie zu ernähren. Ich litt an Hunger und Kälte. Ich habe Familie; sie sagten, ich sei ein Heimchen, und dass ich tanze wie ein Affe. Dann war ich weniger Heimchen - Schminke. Sie haben mich ausgelacht und dann mir applaudiert, die Menge. Ich tanzte weiter, ich liebte Jazz. Ich sang weiter, ich liebte die Traurigkeit, meine Seele ist krank. Ich bekam eine Gelegenheit, es war Schicksal. Ich hatte ein Maskottchen, einen Panther - der Aberglaube meiner Ahnen. Ich machte eine Welttournee, dritter Klasse und im Pullman. Ich bin moralisch; sie sagten, ich sei das Gegenteil. Ich rauche nicht - ich habe weiße Zähne. Ich trinke nicht - ich bin Amerikanerin. Ich bin religiös, ich bete Kinder an, ich liebe Blumen, ich helfe den Armen, ich litt selbst viel. Ich liebe Tiere - sie sind so ehrlich. Ich singe und tanze noch immer, ich verdiene viel Geld. Ich liebe das Geld nicht. Ich spare es - für die Zeit, in der ich nicht mehr attraktiv bin.

Die Baker - heute wäre sie 100 Jahre alt - eine Inszenierung aus Erotik und Humor, dahinter verborgen das Ideal einer aufrechten Frau, die Menschlichkeit und Widerstand gegen Diskriminierung und Diktatur lebte.

Hör-Tipps
Spielräume Spezial, Sonntag, 4. Juni 2006, 17:10 Uhr

Mehr dazu in Ö1 Programm

Radiokolleg, Dienstag, 6. Juni bis Donnerstag, 8. Juni, jeweils 9:45 Uhr

Mehr dazu ebenfalls in Ö1 Programm

Link
The Official Josephine Baker Site