Kolumne von Felix Stalder
Elefanten, Träume und Open Source
Vor kurzem wurde der zehnminütige Computer Animationsfilm Elephants Dream als erster Open-Source-Film im Internet veröffentlicht. Ein älterer, bedrohlich wirkender Mann führt einen naiven Jungen durch eine dystopische Weltmaschine.
8. April 2017, 21:58
Elephants Dream" hat einen etwas verworrenen Inhalt. Ein älterer, bedrohlich wirkender Mann führt einen naiven Jungen durch eine dystopische Weltmaschine, deren Design er aber, zum stetig wachsenden Unglauben des Jungen, über alle Maßen lobt.
Ist der Film als Parabel zu lesen auf den Zustand unserer Gesellschaft, in der die Politiker, meist ältere Männer, dauernd erzählen, wie gut es uns geht, wie viel besser alles geworden ist, während wir uns wundern, in welcher Realität die denn leben?
Vielleicht, aber die Geschichte ist dermaßen offen, dass viele Interpretationen möglich sind. Das kann als Stärke, aber auch als Schwäche empfunden werden. Ästhetisch angesiedelt zwischen den Filmklassikern "Blade Runner" (1982) und "The Matrix" (1999) kann er, was das Produktionsniveau betrifft, durchaus mit diesen mithalten.
Ebenso interessant wie der Film selbst ist allerdings die Frage, ob der Open-Source-Ansatz tatsächlich für die Filmproduktion nutzbar gemacht werden kann. Open Source ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Softwareprogrammierung kommt und bedeutet, dass ein Programm frei zugänglich und veränderbar ist. Das heißt, es unterliegt keinerlei Restriktionen, weder was das Kopieren und Verteilen angeht, noch was die Herstellung abgeleiteter Werke angeht.
Damit repräsentiert Open Source eine radikale Abkehr vom konventionellen Umgang mit geistigen Gütern, der von Kontrolle, Verboten und exklusiven Verfügungsrechten gekennzeichnet ist. Auf den Film übertragen heißt das, dass er nicht nur frei, und legal, zum Download angeboten wird, sondern dass auch die gesamten Produktionsfiles, das Rohmaterial so zusagen, mit angeboten wird, mit der ausdrücklichen Aufforderungen, es selbst weiter zu verarbeiten.
"Elephants Dream" führt aber den Open-Source-Ansatz noch sehr viel weiter. Zum einen wurde der Film (fast) nur mit Software hergestellt, die selbst im Open-Source-Verfahren geschrieben wurde, allen voran dem 3D-Animationsprogramm Blender. Dieses Programm, wiederum, hat selbst eine ungewöhnliche Geschichte.
Blender begann als kommerzielles Produkt in den späten 1990er Jahren, überlebte aber als Firma das Platzen der Dotcom-Blase nicht. Bis dahin hatten sich für das Programm bereits so viele professionelle Nutzer gefunden, dass diese sich zusammenschlossen und innerhalb weniger Wochen das notwendige Geld, 100.000 Euro, aufbrachten, um den Programmcode aus der Konkursmasse auszulösen, und in eine neu gegründete Stiftung einzubringen. Diese veröffentlichte ihn dann als Open Source und betreut seither die Weiterentwicklung.
Diese Stiftung übernahm nun auch die zentrale Rolle in der Produktion des Filmes. Sie trieb die Mittel auf, um sechs der talentiertesten jungen Künstler, die mit dem 3D-Tool arbeiten, einzuladen, für ein halbes Jahr in Amsterdam an diesem Film zu arbeiten. Die Finanzierung ist ebenfalls ungewöhnlich. Ein Teil der Mittel wurde über traditionelle Film- und Medienförderung generiert, ein anderer Teil damit, dass sich interessierte Personen vor der Veröffentlichung verpflichteten, eine DVD-Kopie des fertigen Filmes zu erwerben. Alle, die das bis zu einem gewissen Zeitpunkt machten, sahen als Dank ihre Namen in die Credits am Schluss des Filmes aufgenommen.
Dieser Ansatz, dass Nutzer für Produkte zahlen, die es noch gar nicht gibt, die aber dann hergestellt werden, wenn genug Interesse nachgewiesen werden kann, ist ein langsam wachsender Trend und zeigt wie digitale Kulturproduktion finanziert werden kann, ohne dass der Zugang zum Endprodukt eingeschränkt werden muss.
Die deutsche Kultband Einstürzende Neubauten etwa betreibt schon seit längerem ein Unterstützerprojekt, in dem Fans vorab die neue CD bestellen können, und diese dann, mit zusätzlichen Extra Boni, als erste zugestellt bekommen, plus Zugang zu exklusiven Tracks, die ansonsten nicht veröffentlicht werden. Dies erlaubt der Band, die etablierte Musikindustrie und deren teure Vertriebswege völlig zu umgehen und direkt mit den Fans zusammenzuarbeiten.
Zurück zu den träumenden Elefanten. In diesem Projekt wurden der Open-Source-Ansatz auf allen Ebenen - Technologie, Produktion, Finanzierung - angewandt und das Resultat kann sich sehen lassen. Muss die traditionelle Filmindustrie nun um ihre Existenz zu bangen beginnen? Nicht wirklich. Der Film ist nur zehn Minuten lang und es ist mehr als fraglich, ob sich dieses Modell auf einen abendfüllenden Film übertragen lässt. Hier sind die finanziellen und vertriebstechnischen Hürden massiv höher.
Aber das Projekt zeigt, dass ein neuer Bereich entsteht, der zwischen den kommerziellen Filmen, die ein großes Publikum finden, und den kleinen Produktionen, die meist kaum über spezialisierte Festivals hinauskommen und dann in der Versenkung verschwinden, angesiedelt ist.
Die Verfügbarkeit von freien, professionellen Tools, neue Finanzierungsmöglichkeiten, und die Verfügbarkeit des Internets nicht nur als Distributionskanal, sondern auch als Organisationsplattform, erlaubt es ganz neuen Personengruppen, produktiv tätig zu werden, und, wenn das Produkt interessant genug ist, auch ein großes Publikum zu erreichen. Wir können also erwarten, dass in Zukunft die Grenzen zwischen großen und kleinen Produktionen fließender werden, und dass wir Zugang zu mehr Kulturgüter haben werden, die nicht den Filter des Mainstreams oder staatliche Förderung durchlaufen haben. Gute Aussichten.
Felix Stalder ist freier Forscher im Bereich Medien und Gesellschaft und lehrt Medienökonomie am Studienbereich Neue Medien, Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich.
Hör-Tipp
Matirx, Sonntag, 28. Mai 2006, 22:30 Uhr
Download-Tipp
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Links
Elephants Dream
Felix Stalder