Das Rätsel der Herkunft des Minnesängers

Wo lag Walthers Vogelweide?

Dutzende Orte in ganz Mitteleuropa nehmen es für sich in Anspruch, Heimat des Minnesängers Walther von der Vogelweide zu sein. Allerdings fehlt es durchwegs an Beweisen. Nun aber führt eine heiße Spur nach Niederösterreich, genauer: ins Waldviertel.

Eine kurze Notiz in den Reiserechnungen des Passauer Bischofs Wolfger von Erla, die vermerkt, dass der Bischof am 12. November 1203 in Zeiselmauer bei Tulln einem gewissen "Walther cantor de Vogelweide" fünf "solidi longi" - und damit einen recht stattlichen Geldbetrag - zur Anschaffung eines Pelzrocks schenkte, ist das einzige außerliterarische Dokument, das die Existenz des berühmtesten deutschsprachigen Dichters des Mittelalters bestätigt. Es gibt kein weiteres urkundliches Lebenszeugnis. Die Rekonstruktion der Biografie Walthers von der Vogelweide beruht bis heute ausschließlich auf Vermutungen und Spekulationen.

20-jähriges Wanderleben

Man nimmt an, dass Walther von der Vogelweide um 1170 geboren wurde, wahrscheinlich aus niedrigem Adel stammte, und dass er um 1190 nach Wien kam, wo er sich am Hof der Babenberger bald einen Namen als Minnesänger machte. 1198 verließ er Wien und begann ein rund 20-jähriges Wanderleben, das ihn an zahlreiche Fürstenhöfe führte. 1220 erhielt Walther von Kaiser Friedrich II. ein Lehen - also ein Anwesen - in der Nähe von Würzburg, wo er vermutlich auch begraben ist.

Die Südtirol-These

Heftigste Diskussionen gibt es seit langem über den Geburtsort des Minnesängers. Sollte sein Beiname nicht nur ein Pseudonym sein, wie manchmal vermutet wird, sondern Walther wirklich von einer Vogelweide kommen, so verweist dies auf einen Ort, an dem im Mittelalter Falken für die Beizjagd abgerichtet wurden. Meist war es ein ziemlich großes Areal, zu dem auch ein Gutshof gehörte. Erschwert wird die Suche nach "Walthers Vogelweide" dadurch, dass es relativ viele solcher Areale gab. Daher beanspruchten im Laufe der Zeit der Schweizer Kanton Thurgau, Frankfurt, Würzburg, Feuchtwangen, Nürnberg, Krakau, Kaschau, Dux in Böhmen und viele andere für sich, Heimat des Minnesängers zu sein.

Am intensivsten huldigt man Walther von der Vogelweide in Südtirol, wo zahlreiche Straßen, Gassen, Gebäude und Institutionen nach ihm benannt sind. Im Zentrum von Bozen, auf dem Walther-Platz, erinnert eine Statue an den Dichter. Für die Annahme, Walther stamme vom Innervogelweidhof bei Klausen, fehlen allerdings konkrete Belege. Dennoch wurde die Südtirol-These von ihren Anhängern ab Ende des 19. Jahrhunderts mit großer Vehemenz vertreten. Die Gründe dafür sind vorwiegend politischer Natur, denn der Minnesänger wurde in der umstrittenen Grenzregion zum italienischen Sprachraum als Symbolfigur für das Deutschtum gesehen.

Hinweis in der "Elegie"

Da sich zeigte, dass die Suche nach Vogelweiden für die Klärung der Herkunft des Dichters nicht genügte, begann sich die Forschung allmählich vermehrt auf Hinweise in Walthers Texten zu konzentrieren. Den entscheidenden Hinweis meint man nun in der so genannten "Elegie" gefunden zu haben. In diesem Alterstext berichtet Walther von der Rückkehr in die Landschaft seiner Kindheit, wo sich alles so verändert habe, dass er die Gegend fast nicht mehr erkenne. Die entscheidenden Zeilen dabei lauten:

Bebauet ist das Feld, gerodet ist der Wald.

Zu suchen sei - so meinen die Forscher - somit nach einem Gebiet, das abseits der großen Straßen gelegen sei, sodass Walther auf seinen zahlreichen Reisen quer durch Europa nie dorthin kam, und in dem außerdem zu jener Zeit noch großflächige, die Landschaft stark verändernde Rodungen stattfanden.

Entdeckung im Stift Zwettl

Der Klausener Innervogelweidhof, nahe an der von Walther oft frequentierten Brennerstraße gelegen, war damit genau so aus dem Rennen wie die meisten anderen Kandidaten. Übrig blieb das Waldviertel, das die Bedingungen erfüllte - und in dem außerdem auch einige Vogelweiden lokalisierbar sind.

Der Heimatforscher Walter Klomfar meint nun, auch den tatsächlichen Herkunftsort des Dichters gefunden zu haben. Im Stift Zwettl entdeckte er eine alte Flurkarte, auf der ein Dorf mit dem Namen Walthers eingezeichnet ist und in dem es auch eine große Vogelweide gab. Die längst verödete Ansiedlung ein paar Kilometer nördlich von Zwettl wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von einem - urkundlich mehrfach erwähnten - Walther gegründet. Dieser Kleinadelige sei, so Klomfars These, der Vater des Minnesängers gewesen, der seinem Sohn im Stift Zwettl eine gediegene Ausbildung zukommen ließ. Auch dafür könnte Klomfar in der Stiftsbibliothek einen Beleg gefunden haben. Denn in einem Kodex aus dem 12. Jahrhundert findet sich eine kleine Randnotiz: "Ego frater Walther", "Ich, Frater Walther" - und das könnte tatsächlich eine Art Autogramm des Minnesängers sein.

Der Wiener Germanistikprofessor Helmut Birkhan gesteht der Waldviertel-These eine Wahrscheinlichkeit von 69,9 Prozent zu: "Was für sie spricht", meint Birkhan, "ist vor allem, dass alle anderen Thesen schlechter sind".

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 31. August 2007, 22:15 Uhr

Buch-Tipp
Helmut Birkhan (Hg.), "Der 800-jährige Pelzrock. Walther von der Vogelweide, Wolfger von Erla, Zeiselmauer", Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ISBN 3700134673

Link
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften - "Der 800-jährige Pelzrock"