Wie ich die Welt verändern wollte

Genosse Nachwuchs

Wie ungewöhnlich es heutzutage ist, sich parteipolitisch zu engagieren, zeigt Nicol Ljubics Buch. Vor wenigen Jahren noch hätte es wohl für eine Publikation noch nicht gereicht, dass ein 30-Jähriger beschließt, der SPD beizutreten.

Es gibt wohl nur weniges, was heute unter Jugendlichen - und auch gar nicht mehr so Jugendlichen - dermaßen out ist, wie etablierte Parteien. Für Greenpeace spenden, gerne. Sich gegen Atomkraft, Gentechnik und Ausländerhass aussprechen: immer und überall. Aber sich einer Partei anschließen? Und dann noch einer der großen? Nie und nimmer.

Wie ungewöhnlich es ist, sich parteipolitisch zu engagieren, zeigt die simple Tatsache, dass Nicol Ljubics Buch überhaupt erschienen ist. Früher hätte es wohl für eine Publikation noch nicht gereicht, dass ein 30-Jähriger beschließt, der SPD beizutreten.

Ljubics Bekannte reagierten auf seine neue Leidenschaft mehr als zurückhaltend. Die Freundin hielt gar nichts davon, dass er seine Abende nun mit den Genossen verbrachte, und seine engsten Freunde behandelten ihn, als fröne er einem seltsamen Hobby.

Privatleben unerwünscht

"Aktiv mitgestalten" will der Genosse Ljubic. Bald schon merkt er aber, dass ein guter Parteisoldat sich vor allem durch eines auszeichnet: durch eine gehörige Portion Sitzfleisch. Mühelos könnte er drei oder vier Abende in der Woche im Kreis der Partei verbringen. Arbeitsgemeinschaften auf Kreis- und Landesebene stehen auf dem Programm, Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, eine für Bildungsfragen und Migration, und und und. Dazu kommen noch Wochenendseminare über Rosa Luxemburg und ein Summercamp in Rumänien.

Bei jeder Sonntagsansprache hört man es: Die Politik braucht Nachwuchs. Und glaubt man den Aussagen, dann tun die Parteien alles, um junge, engagierte Leute zu akquirieren. Wie so oft sieht die Wirklichkeit auch hier etwas anders aus. Wer in einer Partei Karriere machen will, der muss schon als Klassensprecher angefangen und sich über Schulsprecher und Studentenvertreter hochgearbeitet haben. Die Ochsentour beginnt also schon sehr früh. Wer zu spät kommt, den bestraft zwar nicht das Leben, dafür aber die Parteihierarchie. All das sind Mechanismen, die dafür sorgen, dass junge Menschen den Etablierten lieber den Rücken kehren.

Kritikfestigkeit gefragt

In eine Partei eintreten heißt, seine Ideale auf den Prüfstand stellen. Das musste auch Nicol Ljubic schnell erkennen. Als er einmal verkündet, er würde sich einen Kanzler wünschen, der Schwächen eingesteht und Zweifel äußert und sagt, dass er samstags keine Zeit habe, weil er da mit seinem Sohn Fußball spiele, erntet er bei den altgedienten Parteikadern nur Kopfschütteln. Politiker sein ist eben ein hartes Geschäft, denn nicht nur von den politischen Gegnern müssen sie sich kritisieren lassen, auch von der eigenen Basis hagelt es des Öfteren Beschwerden.

Nicol Ljubic ist noch immer Mitglied der SPD. Er engagiert sich mehr denn je und bereut seinen Schritt nicht. Was aber ist mit den anderen jungen Menschen?

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Nicol Ljubic, "Genosse Nachwuchs. Wie ich die Welt verändern wollte", dtv, ISBN 3423343117