Von Alfred Adler bis zu Melanie Klein
Rückkehr zu Freud?
Adlerianer, Jungianer, Kleinianer, Annafreudianer, Lacanianer und orthodoxe Freudianer: das sind die bekanntesten Schulen der Psychoanalyse. Dass die Geschichte der Psychoanalyse durch Spaltungen geprägt ist hat auch mit der Methode selbst zu tun.
8. April 2017, 21:58
Das Verhältnis zwischen Analytiker und Analysand sei sowohl das Instrument der klinischen Methode als auch der psychoanalytischen Wissenschaft, meint der Wissenschaftshistorikers Mitchell Ash. Das führe dazu, dass die klinischen Erfahrungen mit ihren Klienten und das auf Freuds Schriften beruhende theoretische Wissen von den Analytikern meist sehr persönlich besetzt werde. Was als inhaltliche Differenz erscheine ist häufig lediglich eine persönliche.
Der Gründer der Individualpsychologie
Der erste große Dissident in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung war Alfred Adler. Er stellte Freuds Begriffe der Verdrängung und der Libido in Frage und begründete die Individualpsychologie, die als menschliche Grundantriebe das Streben nach sozialer Anerkennung, Macht und Überlegenheit sowie die Entfaltung eines Gemeinschaftsgefühls ansieht.
Auch zwischen Freud und Carl Gustav Jung, der sechs Jahre lang Freund und Schüler Sigmund Freuds und der erste Präsident der Internationalen psychoanalytischen Gesellschaft war, tat sich bald eine Kluft auf. Es war vor allem Jungs Bestreben, Freuds Lehre zu entsexualisieren, die zur Abspaltung und zur späteren Begründung der analytischen Psychologie durch C.G. Jung führte.
Kontroversielle Diskussionen
Wenn man sich mit der Geschichte der Psychoanalyse auseinandersetzt stößt man des Weiteren unweigerlich auf die so genannten "Controversial Discussions", die Auseinandersetzungen der verschiedenen Strömungen innerhalb der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft in der Zeit von 1940 bis 1944.
Nach der Auflösung der psychoanalytischen Gesellschaften auf dem Kontinent durch die Nationalsozialisten wurde die Britische Psychoanalytische Gesellschaft Zufluchtsort der Familie Freud sowie vieler anderer Emigranten der psychoanalytischen Bewegung.
Anna Freud und Melanie Klein
Die Wiener Schule und insbesondere die Anhänger von Freuds Tochter Anna standen aber seit 1926 im Streit mit der ebenfalls aus Wien stammenden doch schon früher nach England emigrierten Melanie Klein, die mit ihren Anhängern eine Mehrheit in der englischen Bewegung bildete.
Während die Annafreudianer eine orthodoxe auch kontinental genannte Auffassung der Psychoanalyse vertraten und im Ödipuskomplex den Akzent auf die Figur des Vaters setzten, unterstrich Melanie Klein die Bedeutung der mütterlichen Position.
Während Anna Freud - nicht zuletzt weil sie Lehrerin war - ihre Kinderpsychoanalyse pädagogisch ausrichtete, aus entwicklungspsychologischen Sicht formulierte, in welchem Stadium, in welchem Alter ein Kind etwa welches Entwicklungsniveau erreicht haben soll, konzentrierte sich Melanie Klein auf die vorsprachlichen Affekte.
Sie erkannte, dass im Spiel der Kinder eine symbolische Inszenierung ihrer unbewussten Motive liegt und sie entwickelte ein Setting, diese Inszenierungen der Kinder zu deuten. Sie machte nicht zuletzt durch ihre Kinderanalysen Psychosen einer psychoanalytischen Behandlung zugänglich. Bald danach entstand eine dritte Ausrichtung, die middle group um Donald Wood Winnicott und John Bowlby.
Weitere Abspaltungen
Als nach dem 2.Weltkrieg die Psychoanalytische Bewegung auch in Österreich wieder Fuß zu fassen begann, fanden sich unter den Psychoanalytikern naturgemäß nicht nur Anhänger aller Strömungen - durch Igor Caruso, einem Vertreter der Daseinanalyse, die die Freudsche Psychoanalyse mit der Phänomenologie Martin Heideggers verbindet, kam es zu einer weiteren Abspaltung.
Caruso trennte sich von der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, weil ihm deren Ausrichtung zu medizinisch, zu materialistisch, kurz zu amerikanisch war - wie Elisabeth Roudinesco in ihrem Wörterbuch der Psychoanalyse schreibt.
Caruso gründete den 1. Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie. Der 1981 verstorbene Igor Caruso fühlte sich zwar ganz als Freudianer, wollte aber - wie der ebenfalls 1981 verstorbene französische Psychiater und Psychoanalytiker Jacques Lacan - der Psychoanalyse eine intellektuelle, geistige und philosophische Ausrichtung geben.
Fruchtbare Weiterentwicklung
Bei näherer Betrachtung zeige sich, dass das jeweilige Konstrukt vom Seelenleben mehr Gemeinsamkeiten aufweise als auf den ersten Blick erkennbar. Dass das Theoriengebäude des Sigmund Freud so viele weitere Baumeister auf den Plan gerufen habe, die sich zu Um- und Anbauten berufen fühlten und fühlen, habe nach Peter Schuster von der Wiener Universitätsklinik für Tiefenpsychologie und Psychotherapie damit zu tun, dass Freud aus seinen klinischen Beobachtungen und Erfahrungen Theorien entwickelt und verschiedene Fragestellungen angerissen habe, die ein Weiterdenken herausforderten und herausfordern.
So habe die Psychoanalyse dadurch auch eine fruchtbare Weiterentwicklung erfahren, betont die Vorsitzende der Wiener Analytischen Vereinigung Christine Diercks, sodass sie mit weltweit 11.000 Mitgliedern heute als sehr erfolgreiche Bewegung dastehe.
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 15. Mai 2006, 19:05 Uhr
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Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut