Systeme der Natur auf die Informatik umlegen
Organic Computing
Die Computersysteme der Zukunft werden immer komplexer. Um bedienbar zu bleiben, müssen sie sich an die Belange menschlichen Lebens und Zusammenlebens anpassen. Sie müssen flexibler und autonomer werden und kooperieren, sie müssen "organischer" werden.
8. April 2017, 21:58
In einem Auto moderner Bauweise sind bis zu 70 verschiedene mikroelektronische Bauteile eingebaut, ein Smartphone hat so viele Funktionen, dass man im Laufe seiner Lebensdauer niemals alle ausprobieren kann und selbst bei einem Kühlschrank werden im Falle einer Störung nur mehr elektronische Teile ausgetauscht.
Wie soll das alles werden, wenn eines Tages jedes Haus, jeder Sessel und jede Plakatwand "smart" werden und miteinander kommunizieren? Blickt da überhaupt noch irgendjemand durch? Nein, sagen die Fachleute, und deshalb wollen es sie in Zukunft der Elektronik überlassen, sich selbst zu organisieren, zu konfigurieren und zu reparieren. In Deutschland wurde dafür ein eigener Forschungsschwerpunkt ins Leben gerufen, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird und den Namen "Organic Computing" trägt.
Ameisen als Vorbild
Als Anregung für das Organic Computing dienen zum Beispiel Insektenstaaten wie jene von Ameisen oder Bienen. Das bedeute allerdings nicht, dass Rechner in Zukunft wie Ameisen oder Termiten aussehen oder sich genauso verhalten sollen, so Hartmut Schmeck von der Universität Karlsruhe, Sprecher des Forschungsprogramms.
Vielmehr gehe es darum, Systeme der Natur auf die Informatik umzulegen, wie zum Beispiel die Methode der Ameisen, bei der Nahrungssuche mithilfe von Duftstoffen zu kommunizieren.
Digitaler Organismus
Eine Gruppe des Organic Computing Forschungsprogramms hat sich für die Rechner der Zukunft den menschlichen Organismus zum Vorbild genommen. Die Informatiker und Elektrotechniker arbeiten dafür mit Biologen und Neurophysiologen zusammen. Ihr Rechnermodell wird als "Digital On-Demand Computing Organism for Real-Time Systems", abgekürzt dodOrg bezeichnet.
Im übertragenen Sinne ist der digitale Organismus aus Zellen, Organen und einem Gehirn aufgebaut. Ziel ist es, Hardware-Software-Systeme zu entwickeln, die sich den jeweiligen Aufgaben entsprechend immer wieder umkonfigurieren können, denn Komplexe Hardware-Software-Systeme seien in Zukunft nur beherrschbar, wenn sie sich auf die jeweiligen Aufgaben einstellen können, so der Karlsruher Forscher Jürgen Becker.
Aufgaben verteilen
Martin Middendorf von der Universität Leipzig untersucht, wie Ameisen die Verteilung von Aufgaben organisieren und versucht, das auf Computersysteme umzulegen. In der Biologie geht man davon aus, dass jede Ameise eine bestimmte Neigung hat, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Andererseits gibt es Stimuli aus der Umwelt für eine bestimmte Arbeit. Liegt also zum Beispiel sehr viel Dreck im Nest herum, ist das ein hoher Stimulus, aufzuräumen.
Aus dem Verhältnis von persönlicher Neigung und Stimulus aus der Umwelt ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit, dass die Ameise mit der Arbeit beginnt. Ameisen sind aber auch lernfähig, das heißt, eine Arbeit, die sie schon einmal gemacht haben, macht sie beim nächsten Mal besser und lieber. Auch elektronische Bauteile könnten auf diese Weise lernfähig und selbstorganisierend sein.
Kontrolle sicherstellen
Wenn Computersysteme sich selbst organisieren und selbst konfigurieren sollen, besteht aber auch die Gefahr, dass sie sich negativ beeinflussen, gegenseitig an ihren Aufgaben hindern oder chaotisches Verhalten entwickeln. Deshalb ist es notwendig, Kontrollsysteme zu entwickeln, die sicherstellen, dass nur erwünschtes Verhalten entsteht und der Mensch stets die Kontrolle über das System hat.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 14. Mai 2006, 22:30 Uhr
Download-Tipp
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Hartmut Schmeck
Jürgen Becker
Martin Middendorf
Paul Lukowicz