Kolumne von Walter Gröbchen

Freunderlwirtschaft

Zum Einstieg ein Ratespiel: Wie könnte der anno 2005 meistgesuchte Begriff auf Google lauten? Sex? Nein. MP3? Schon wärmer. Ein Hinweis: Es handelt sich um den Namen einer Website, die Experten inzwischen als das MTV der Zukunft” gilt. Klingelts?

Zum Einstieg ein kleines Ratespiel: Wie könnte der anno 2005 meistgesuchte Begriff auf Google lauten? Sex? Nein. MP3? Schon wärmer. Download? iTunes Musicstore? ORF ON? Nicht ganz. Ein kleiner Hinweis: Es handelt sich um den Namen einer Website bzw. eines Dienstes, der schon mehr als siebzig Millionen angemeldete Benutzer zählt. Und Experten inzwischen als das “MTV der Zukunft" gilt. Klingelt’s? Nein? Nicht weiter verwunderlich. Das Phänomen dringt erst zögerlich in den deutschsprachigen Raum vor. Mir selbst beispielsweise, dem das Themenspektrum Internet & Musik schon von der Profession her gewiß kein spanisches Dorf ist, kam der Begriff auch erst vor wenigen Monaten erstmals unter. Nämlich, als der Sänger und Gitarrist einer Band, die bei mir vorstellig wurde, meinte, man sei zum Erfolg quasi verdammt. Denn man hätte schon dutzende, wenn nicht gar hunderte Freunde auf “Myspace".

Aha. Soso. “Myspace" ist das gesuchte Wort. “Myspace" ist - ähnlich der Business-Plattform “OpenBC" - ein sich rasant entwickelndes Wunderkind unter jenen Sites, die als soziales Netzwerk konzipiert sind und damit, so die “FAZ", “für basisdemokratische Netzutopisten und schnöde Medienunternehmen gleichermaßen als neue Hoffnungsträger gelten." Bereits mehr als eine halbe Million Bands und Künstler gehören zur Community, der Großteil der anderen Mitglieder von “Myspace" sind Fans, die Grenzen sind fließend. Alle sind sie aber Freunde. Denn “Friends" sind soetwas wie die Währung, das Kommunikations- und Adorations-Thermometer von “Myspace". Das Adreßbuch gibt die Ordnungsstruktur vor. Wen man schätzt, ist Freund. Bzw. wird umgehend einer. Ich selbst habe, nach wenigen Tagen des “MySpace"-Selbstversuchs, auch schon 136. Im wirklichen Leben sind es wahrscheinlich weniger.

Seinen virtuellen Freunden kann und will man jedenfalls Gutes tun - man schreibt persönliche Texte und Blogs, Witzeleien, Kritiken und Grüße, zeigt Fotos her und läßt sie Musik hören. Eigene Songs, aber auch fremde, auf die man quasi querverweist. Und wenn diese Songs den Freunden da draußen gefallen, dann lassen die das einen vice versa natürlich wissen. Und eventuell bestellen sie auch gleich das ganze Album dazu. Oder verbreiten die Kunde weiter, unter Freunden und Bekannten. Ernennen Dich taxfrei zum persönlichen Helden der Stunde. Oder gar zum coolsten Hund des “Myspace"-Universums. Und so weiter und so fort.

So entstehen heutzutage Hits. Im Herbst des Vorjahres z.B. hörte man das erste Mal von den Arctic Monkeys. Die Band hatte auf “Myspace" von sich reden gemacht, Demos und fertige Songs via Internet verschenkt und kurze Zeit danach mit “I Bet You Look Good On The Dancefloor" den ersten No.1-Hit in den britischen Charts. Marketingpläne? Etwas für hoffnungslose Traditionalisten. Radio-Airplay? Ja, später, wenn die Herren Musikchefs auch mal draufkommen. Und den Mut haben, es zu spielen, wenn (und weil) es allen anderen auch spielen. Schwamm drüber. Clap Your Hands Say Yeah! Was wie ein Kommentar zur neuen Unbekümmertheit und erfrischenden Do It Yourself-Mentalität der Internet-Generation tönt, ist denn auch tatsächlich der neueste Hype am Pop-Firmament. Die fünf Jungs aus Philadelphia und New York katapultierten sich mit viel Eigeninitiative und der elektrifizierten Mundpropaganda der Web-Community vom buchstäblichen Nichts zum heißesten Tipp für 2006. Mit Millionen Freunden (Mariah Carey z.B. hat nur 6100). Von denen dann nicht wenige auch tatsächlich eine CD kaufen. Weil’s Spaß macht, im Booklet zu blättern, eventuell. Weil eine Silberscheibe besser tönt als ein MP3-File. Oder aus einer nicht zu unterschätzenden, ganz unpathetischen Solidarität und Verbundenheit zwischen Fan und Künstler. Business mit Sympathiefaktor.

Tom Anderson, einer der beiden Gründer von “Myspace", begrüßt jeden Neuankömmling als “erster Freund". Mittlerweile hat er nach eigenen Angaben bereits mehr als 72 Millionen Freunde. Im Juli des vergangenen Jahres ließ sich Anderson den Freundschaftsbonus auszahlen - ausgerechnet TV-Tycoon Rupert Murdoch kaufte das “Myspace"-Stammhaus Intermix Media für 580 Millionen Dollar. Murdoch scheint einmal mehr einen Riecher zu haben, wo das Geschäft der Zukunft zu machen ist. Der Mittelbau, so progostizierte etwa die Early Adoptors-Bibel “Wired Magazine", würde sich hinkünftig in solchen Foren drängeln. So könne man die Lücke zwischen den Myriaden hoffnungsloser Amateur-Produzenten und den millionenschweren, allerorts präsenten Stars der Branche schließen. “Das Internet ist das Radio von morgen", folgerte die “FAZ".

Natürlich kann man all die modernen Pop-Mythen von wegen „Star-Karriere leicht gemacht“ auch kräftig anzweifeln. Und hinter den Arctic Monkeys, Clap Your Hands Say Yeah!s und Gnarls Barkleys dieser Welt (letztere die erste britische Charts-No.1-Formation, die ausschließlich via Downloads an die Spitze der Hitparade vorstieß) besonders clevere, technik-affine und zeitgeistige Promotion-Cracks und Marketing-Fuzzis vermuten. Aber, unter uns, diese hippen Freaks sitzen heutzutage überall, nur nicht in den Chefetagen von Plattenfirmen. Eventuell hat man ja einen heißen Draht zu externen Fachleuten und Undercover-Netzagenten. Oder es ist doch etwas dran an der Freunderlwirtschaft.


P.S.: Sie wollen ganz dringlich mein Freund werden? Klopfen Sie einfach an bei myspace.com/groebchen

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 7. Mai 2006, 22:30 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
monkey music
myspace.com

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