Die Merowinger oder Die totale Familie

8. April 2017, 21:58

Bernd Jeschek liest Doderer

2006 ist ein Doderer-Jahr: Auf den 5. September fällt der 110. Geburtstag, auf den 23. Dezember der 40. Todestag des Schriftstellers.

1962 erschien Doderers skurrilstes Werk: "Die Merowinger oder Die totale Familie". In diesem ebenso umfangreichen wie vielschichtigen Roman erzählt Doderer die im 20. Jahrhundert angesiedelte Geschichte des fiktiven letzten Nachfahren des fränkischen Adelsgeschlechts, Childerich III. von Bartenbruch. Durch vier nach einem bizarren Plan ausgeklügelte Heiraten und Adoptionen gelingt es diesem Blaubart, sein eigener Vater, Großvater, Onkel und Neffe zugleich zu werden. Die totale Familie, vereinigt in seiner eigenen Person, nach dem Wahlspruch: "La famille, c'est moi". Um seine Mehrfachfunktion innerhalb des Familienverbands auch nach außen hin zu dokumentieren, lässt er sich die Bärte der jeweils überlebten männlichen Verwandten wachsen; eine Phase, die Doderer als "die Bauschung" bezeichnet.

Skurriler Figurenkosmos

Rund um diese Zentralfigur entwickelt Heimito von Doderer einen veritablen Figurenkosmos, der ihm ausreichend Gelegenheit bietet, in verschlüsselter Form Anspielungen auf Freunde aus der Wiener Künstlerszene - wie z.B. die Maler Albert Paris Gütersloh und Carry Hauser - unterzubringen. Der Autor selbst tritt uns als Schriftsteller Dr. Döblinger entgegen, dessen Bande von Bohemiens mit allerlei übermütigen Streichen ihr Unwesen treibt.

Eine wesentliche Rolle spielt auch der Psychiater Dr. Horn, der weithin als Spezialist für Wutanfälle bekannt ist. Er behandelt seine tobenden Patienten mit ledergepolsterten Holzhämmern, Nasenzangen und anderen seltsamen Apparaturen. Auch Ohrfeigen gehören zu seiner Therapie. Was die Hilfesuchenden nicht wissen: Dr. Horn pflegt eine enge Kooperation mit der Firma Hulesch und Quenzel in London. Dort werden all die subtilen Alltagsquälereien ausgedacht, die letztlich die Patienten mit ihren schweren Wutanfällen in die Ordination des Seelendoktors treiben, darunter auch Childerich III.

Der letzte Merowinger hat es nicht leicht mit seiner blaublütigen Verwandtschaft. Immer stärker wird der innerfamiliäre Widerstand gegen Childerich, bis sich der Unmut der Sippe in einer Schlacht mit nachfolgendem Stellungskrieg gegen ihn und seine Getreuen Bahn bricht.

In lässigem Österreichisch

"Die Merowinger" sind nun auch als Hörbuch erschienen - auf 10 CDs in einer Kassette mit einem Cover von Günter Brus. Der Schauspieler, Regisseur und Doderer-Spezialist Bernd Jeschek hat den Roman in lässig-österreichischem Tonfall gelesen. Ein Hörerlebnis der besonderen Art.