Zum 120. Geburtstag und zum 50. Todestag

Gottfried Benn

Gottfried Benn wurde am 2. Mai 1886 in Mansfeld/Westprignitz geboren und starb am 7. Juli 1956 in Berlin. Somit ist 2006 ein richtiges Benn-Jahr: 120. Geburtstag und 50. Todestag. Aus diesem Anlass sind jetzt sogar drei Benn-Biografien erschienen.

"Erkenne die Lage." Das ist ein richtiger Lieblingssatz von Gottfried Benn. Ein anderes Lieblingswort von Benn ist "Teils - Teils". Eines seiner traurig-schönen Altersgedichte trägt diesen Titel. Der Dichter, Prosaautor, Essayist und Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten hat allerdings die "Lage" - nämlich die welthistorische und die seine - nicht immer richtig erkannt. Vielmehr ist sein Leben ein "Teils - Teils" gewesen.

Gottfried Benn wurde am 2. Mai 1886 in Mansfeld/Westprignitz geboren und starb am 7. Juli 1956 in Berlin. Somit ist 2006 ein richtiges Benn-Jahr: 120. Geburtstag und 50. Todestag. Und die Verlage haben darauf reagiert: Drei Biografien sind erschienen, eine günstige Werkausgabe, der schmale Briefwechsel mit Ernst Jünger und eine Hör-CD, auf der Benn selbst seine Texte spricht.

Ein Mann von Welt

Reisen konnte der Herr Doktor fast nie, seine Arztpraxis, geschweige denn seine literarischen Veröffentlichungen brachten nie genug Geld ein. Und trotzdem präsentierte sich Benn gerne als Weltmann: gut gekleidet, feine Manieren - so gefällt man den Frauen. Man kann sich gut vorstellen, wie der Autor einer Herzensdame das Gedicht "Reisen" im leicht blasierten Tonfall vorträgt - und dem Gegenüber dabei ein wenig die Sinne schwinden.

Das "sich umgrenzende Ich" des Dichters brauchte Erweiterung: Benns Passion waren die Frauen. Der Dichter heiratete dreimal, wobei eben die ersten zwei Frauen früh verstarben. Daneben hatte Benn unzählige Liebschaften, bis ins hohe Alter hinein. "Erkenne die Lage" heißt in diesem Fall, dass der Herr Doktor Frauen zu allererst als Lust- und Liebesobjekt betrachtete.

Das Werk kommt zu kurz

In Sachen Bennschen Liebeslebens schöpfen die Biografen Helmut Lethen und Gunnar Decker also aus dem Vollen. Joachim Dyck als Dritter im Bunde hält sich hingegen zurück. Sicher, ein Dichter und Frauenliebhaber ist allemal interessanter als ein dürrer Asket. Und der Leser kann bemerken: Siehe, auch Dichter haben Drüsen!

Etwas aber kommt in diesen Biografien zu kurz: das Werk des Autors. Alle drei Autoren versuchen einzelne Texte in den historischen Lebenskontext zu stellen und dabei wird sehr deutlich, dass Benn keineswegs völlig abgehoben vom politischen wie persönlichen Tagesgeschehen dichtete. Aber in keiner der drei Biografien wird ersichtlich, weswegen das Bennsche Oeuvre so einzigartig und zugleich monolitisch in der deutschsprachigen Literatur da steht.

Belasteter "Rechtsintellektueller"

1933/34 hat sich Benn den Nazis angedient und damit seine expressionistischen Künstlerfreunde brüskiert, die aus rassischen oder politischen Gründen emigrierten. Sein "Erkenne die Lage" nimmt hier grausige Züge an. Und dennoch gilt auch hier sein "Teils - Teils". Denn Benn als "Volblutnazi" oder gar als "Antisemiten" zu bezeichnen, empfiehlt sich keineswegs. Die Forschungsliteratur, die alle drei Biografen in ihre Bücher eingearbeitet haben, und die vielen sehr kritischen Briefe des Dichters an Freunde bieten da ein differenzierteres Bild.

Als belasteter "Rechtsintellektueller" hatte Benn es schwer, im Nachkriegsdeutschland Fuß zu fassen. Dieser Umstand verbindet ihn mit Ernst Jünger. Ihr interessanter Briefwechsel aus den Jahren 1949 bis 1956 zeigt genau, wie beide sich für die Nazi-Gräuel nicht mitverantwortlich fühlten und somit öffentliche Schuldbekenntnisse ablehnten. Als Gottfried Benn 1951 den Georg-Büchner-Preis erhielt, fühlten sich so manche aus seiner Generation, die während der NS-Zeit weit mehr Schuld auf sich geladen hatten als der Dichter, entlastet.

Drei verschiedene Ansätze

"Erkenne die Lage" und "Teils - Teils". Das heißt auch, dass es nicht einfach ist, eine Biografie über Gottfried Benn zu schreiben, die zugleich Fakten getreu aufarbeitet und spannend geschrieben ist. Im Großen und Ganzen ist das aber allen drei Biografen gelungen. Wobei Joachim Dyck die Jahre 1929 bis 1949 im Auge hat, was zwar eine Reduktion bedeutet, zugleich aber große Detailtreue erlaubt.

Am klarsten schreibt sicher Helmut Lethen, während Gunnar Decker manchmal in einen Bennschen Tonfall verfällt. Was aber vielleicht auch heißt, dass er Benn nahe ist. Auf jeden Fall ist dies die leserfreundlichste Biografie. Sie enthält einen umfangreichen Bildteil, ein Namensregister und eine Lebenschronik des Dichters. Interessierte Leser werden sich für die eine oder andre Biografie entscheiden, aber eines ist auch klar: An allen drei Büchern wird man in Zukunft nicht vorbeikommen, wenn man über Gottfried Benn spricht.

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Buch-Tipps
Gunnar Decker, "Gottfried Benn. Genie und Barbar", Aufbau Verlag, ISBN 3351026323

Joachim Dyck, "Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929 - 1949", Wallstein Verlag, ISBN 3835300245

Helmut Lethen, "Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit", Rowohlt Verlag, ISBN 387134544X

Gottfried Benn, "Sämtliche Gedichte", Verlag Klett-Cotta, ISBN 3608934499

Gottfried Benn und Ernst Jünger, "Briefwechsel 1949 - 1956, Verlag Klett-Cotta, ISBN 360893619X

CD-Tipp
Gottfried Benn, "Einsamer nie. Gedichte und Prosa", 2 CDs, HörVerlag, ASIN B000EULW44

Link
Gottfried Benn Gesellschaft