Sehnsucht nach der Heimat

Wei Huis spiritueller Sex

China kennt viele Schmähungen für Wei Hui, wobei "dekadente, zügellose Sklavin des Westens" noch zu den harmlosen zählt. Viel bösartiger ist das "Body Writer" der chinesischen Kritiker. Es bedeutet, dass sie beim Schreiben das Hirn ausschaltet.

Es dauerte etwa ein halbes Jahr, bis die Behörden "die Bombe" entdecken, nämlich "Shanghai Baby" von Wei Hui, aber dann schlug der Apparat mit aller Wucht zu: Der Roman wurde verboten, 40.000 Exemplare verbrannt und der Verlag geschlossen. Wei Hui wurde öffentlich getadelt, ihr Name aus den chinesischen Suchmaschinen getilgt. Der Geheimdienst hörte ihr Telefon ab und las ihre E-Mails.

Zu spät, denn 130.000 Bücher standen schon in den privaten Regalen der Chinesen. Und die, vor allem die jüngeren, genossen das Bild, das Wei Hui von ihrem Leben zeichnet: dem Leben einer aufstrebenden Generation in einer aufstrebenden Stadt in einem aufstrebenden Staat an der Grenze zwischen Kommunismus und Kommerz. Vor allem die jungen Frauen erkannten sich und ihre Wünsche und Bedürfnisse wieder. "Sex and the City" auf Chinesisch. Wei Hui wurde zur feministischen Ikone.

Spirituelle Reise

Wei Hui genoss die weltweite Beachtung und den Erfolg, der sich durch die Repressionen der chinesischen Behörden umso schneller und durchschlagender einstellte. Sie lebte in New York, absolvierte internationale Lesereisen und entdeckte die "westliche Sehnsucht nach östlicher Spiritualität".

Demgemäß wird die Fortsetzung von Cocos Leben, "Marrying Buddha", zur spirituellen Reise - sie gebraucht das Wort "Quest", den Begriff, mit dem die Abenteuer diverser mittelalterlicher Ritter auf ihrer Suche nach dem Gral bedacht werden, denn sie schickt ihre Protagonistin auf verschlungenen Wegen zum "letztgültigen Ziel des Frauseins": Am Ende von "Marrying Buddha" ist Coco schwanger.

Zurück nach China

Langsam wuchs das Heimweh. "Das Ironische ist: Wenn du in China bist, fühlst du dich nicht wirklich als Chinese", erzählt sie im Interview mit "TV-Spielfilm". "Erst wenn du im Ausland bist, fällt dir deine chinesische Identität auf. Ich fühle mich emotional viel näher an meine Heimat gebunden als an New York." Und so liest sie Konfuzius und Bücher über Buddhismus. Und beschließt, dass sie wieder in China leben möchte.

Aber das hat seinen Preis: Sie muss die (für die Behörden) anstößigsten Stellen "entschärfen", denn die Behörden wollen weniger Offensichtliches lesen. Wei Hui umschreibt das sehr nett, wenn sie gegenüber der "FAZ" zugibt: "Ich musste mit 'Marrying Buddha' Kompromisse eingehen. Der Titel wurde in 'Mein Zen' geändert, große Teile des Textes sind gestrichen, eine geplante Vorlesungsreise wurde abgesagt. Trotzdem haben wir in China 200.000 Exemplare allein im ersten Monat nach dem Erscheinen verkauft." Na bitte, es lohnte sich doch!

Reiseziel Romanschauplatz

Es scheint, dass in den letzten fünf Jahren auch die Offiziellen offener geworden sind, den Spruch "Sex sells" akzeptiert haben, und erkannt haben, dass "Shanghai Baby" zur Werbung für das neue, ehrgeizige China geworden ist, dass dieser Roman Touristen anlockt, die die Schauplätze von Cocos Treiben sehen wollen. "Vor allem Japaner", grinst Wei Hui, "besuchen die Toilette, in der die Protagonisten meines Buches Sex hatten. Diese Toilette ist eine Sehenswürdigkeit!"

Das wird noch schlimmer werden: "Shanghai Baby" wird nämlich verfilmt. Die Schauplätze: Berlin und Shanghai.

Buch-Tipps
Wei Hui, "Marrying Buddha", Ullstein Verlag, ISBN 3550086202

Wei Hui, "Shanghai Baby", Ullstein Verlag, ISBN: 3550083432